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Unterwegs

Unterwegs

Thomas Zels
Ein Beitrag von Thomas Zels, Pastor, Freie evangelische Gemeinden Marburg

Da steht ein Motorradfahrer mit seiner Maschine am Südeingang des Grand Canyon in den USA, nah bei der legendären Route 66, der weltbekannten "Mother Road", Mutter aller Straßen. Die gewaltigen Fels-Schluchten des Nationalparks glühen rot in der Abendsonne und der Biker schaut in die Ferne.

The wind blows hard against this mountain side,
across the sea into my soul
It reaches into where I cannot hide,
setting my feet upon the road

Der Wind bläst hart gegen die Bergseite,
vom Meer direkt in meine Seele,
wo ich mich nicht verstecken kann.
Ich setze meine Füße auf die Straße.

Der Motoradfahrer spürt den Wind, der gegen die Felsen bläst. Er versucht, fest mit seiner Maschine auf dem Asphalt zu stehen, um das überwältigende Panorama des Grand Canyon zu erfassen. Kyrie eleison! ruft er. Herr, erbarme dich!

Kyrie eleison - gehört dieser Ruf nicht in die Kirche? Ja, gehört er, seit vielen Jahrhunderten schon. Auch ich gebrauche ihn im Gottesdienst. Offenbar fühlt sich der Biker da draußen wie in einer Kathedrale und hat das Bedürfnis, Gott anzurufen.  Schon in der Antike hat man so Götter angerufen, oder  auch den römischen Kaiser. Um sich zu unterwerfen oder um Hilfe zu bitten. Die Christen übernahmen diesen Ruf in ihre Gottesdienste, um damit Jesus, den Sohn Gottes anzubeten. Die US-amerikanische Pop-Rock-Formation Mr.Mister kleidete diesen Ruf Mitte der 80er Jahre in den typischen Sound ihrer Zeit, und verlagerte ihn unter den freien Himmel einer Motorrad-Tour. Dadurch klingt das Kyrie eleison ganz neu. Nicht mehr eingezwängt in eine Kirchenliturgie, sondern frei. Und das von jemandem, der vielleicht nur selten in die Kirche geht.

So ein Biker weiß ganz gut, dass man im Grunde sein ganzes Leben unterwegs ist. Wie auf einer Biker-Tour eben. Da gibt´s Momente, die sind so atemberaubend schön wie der Anblick des Grand Canyon oder so großartig wie ein Sonnenuntergang am Nil. Da kann man schon mal ehrfürchtig werden, wie in einer Kathedrale. Unterwegs sein kann aber auch gefährlich werden und erschrecken. Von jetzt auf gleich kann was passieren. Glatte Straßen, wilde Tiere, Windböen. Man braucht noch nicht mal selber schuld sein, und dennoch kann sich schlagartig das ganze Leben ändern. Oder sogar vorbei sein. Der Biker in dem Song ist nicht mehr jung. Er steckt voller Erinnerungen. Vielleicht denkt er an die Vergangenheit. Aber in seinem Körper brennt noch eine Glut. Er hat noch so viel vor sich. Auf dem weichen Sitz seiner Maschine wird ihm bewusst, dass da ein Gott ist, der ihn beschützen muss. Auf der Straße, in der Dunkelheit, überall, wo er hinfährt. Und auch für das Ende all seiner Wege braucht er ihn, denn niemand weiß, wann und wie dieses Ende kommt. Also ruft er ihn an, ohne eine Autobahnkirche abzuwarten.

My heart is old, it holds my memories,
my body burns a gemlike flame
Somewhere between the soul and soft machine,
is where I find myself again

Mein Herz ist alt, voller Erinnerungen,
mein Körper brennt wie eine Flamme.
Irgendwo zwischen der Seele und der weichen Maschine
finde ich mich wieder.

Kyrie eleison, down the road that I must travel
Kyrie eleison, through the darkness of the night
Kyrie eleison, where I\'m going will you follow
Kyrie eleison, on a highway in the light

Kyrie Eleison, auf der Straße, die ich reisen muss
Kyrie Eleison, durch die Dunkelheit der Nacht
Kyrie Eleison, wo ich hingehe, wirst du folgen
Kyrie Eleison, auf einer Autobahn ins Licht

1985 brachte die vier-köpfige Band Mr.Mister auf ihrem zweiten Album diesen Song heraus. Kopf und Leadsänger der Gruppe war Richard Page. Zwei der Stücke aus diesem Album wurden Welthits. Neben Kyrie hielt sich auch Broken Wings wochenlang auf Platz eins in allen Charts. Die Band wurde mehrfach für den Grammy nominiert und erhielt ihn dann 1986 für die beste Pop-Band. Drei Jahre später löste sich Mr.Mister wieder auf und Richard Page begann eine Solokarriere. Er schrieb Songs für viele bekannte Künstler, wie Donna Summer, Al Jarreau, Madonna, Meat Loaf, Cher und viele andere. 2010 veröffentlichte der Künstlerveteran wieder ein viel beachtetes, eigenes Album, "Shelter Me", nachdem er jahrelang künstlerische Kompromisse gemacht hatte.

Der Song "Kyrie" entstand während einer Tournee. Der mystische Synthi-Sound, die drängenden Beats und der hymnische Gesang vermischen sich zu einem Ohrwurm, der etwas Großartiges hat, irgendwie erhebend. Richard Page sagte in einem Interview: „Kyrie eleison“ ist eines der ältesten Worte in unserer Sprache. Es bedeutet 'Herr erbarme dich', da steckt viel Energie drin. Es ist ein Gebet, eine Art Meditation. Ich denke darüber nach, dass das, was ich tue, verglichen mit dem ganzen Universum, bedeutungslos ist.“

When I was young I thought of growing old,
of what my life would mean to me
Would I have followed down my chosen road,
or only wished what I could be

Kyrie eleison, down the road that I must travel
Kyrie eleison, through the darkness of the night
Kyrie eleison, where I\'m going will you follow
Kyrie eleison, on a highway in the light

Als ich jung war, fragte ich mich, wie es sei, alt zu werden.
Wie würde sich mein Leben dann anfühlen?
Wäre ich der gewählten Straße gefolgt,
oder würde ich nur wünschen, ich hätte es getan?

Kyrie eleison, Herr erbarme Dich, das waren auch für mich vor einigen Jahren entscheidende Worte. Als mein Vater starb, bekam mein Lebensweg einen Knick. Ich konnte einfach nicht weitermachen wie vorher. Gefühle und Erinnerungen wurden in mir wach, die ich hoffte, längst vergessen zu haben. Sie waren so stark, dass ich komplett blockiert war. Innerhalb weniger Wochen war ich nicht mehr fähig, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Auch zu Hause war ich wie gelähmt. In dieser Lage hab auch ich gerufen, Herr erbarme dich! Aber nicht, weil mein Leben so atemberaubend war, sondern aus Verzweiflung. Weil es sich anfühlte, wie vor die Wand gefahren. Auch das ist Kyrie eleison. Ein Stoßseufzer, wenn nichts mehr geht. Ein Hilferuf. Und mir wurde geholfen. Ich kam wieder auf die Beine. Dafür bin ich Jesus sehr dankbar. Und den Fachkundigen, die mich begleitet haben, auch. Heute hab ich meine \"Spur\" wiedergefunden, meine Straße, wie man so sagt.

Vielleicht sind sich Motorradfahrer mehr der Gefahren bewusst, die das Unterwegssein mit sich bringt. Vielleicht boomen deshalb seit vielen Jahren die Motorrad-Gottesdienste. Auch bei uns. Der größte in Deutschland findet einmal im Jahr in Hamburg statt, mit 40.000 Bikern und 100.000 anderen Zuschauern. Anschließend fährt der riesige Konvoi über die eigens dafür abgesperrte Autobahn wieder raus aus Hamburg. In den 80ern hätte vielleicht auch Richard Page an sowas teil genommen, der Frontmann von Mr.Mister.

Richard Page hielt sich nicht für religiös, obwohl er als Pfarrersohn seine Kindheit in einer Kirche verbrachte und dort seine ersten musikalischen Gehversuche gemacht hatte. Er wandte sich früh von der Kirche ab, weil er sie als heuchlerisch empfand. Page wollte das Lied anfangs gar nicht heraus bringen, äußerte er 2010 in einem Interview. Aus Sorge, man könnte Mr.Mister für eine christliche Band halten, was ihr Todesstoß gewesen wäre, so Page. Der Song entwickelte nach seiner Veröffentlichung dann auch wirklich eine Art Eigenleben und wurde gern christlich interpretiert. Viele Menschen machen sich ihre ganz eigenen, ganz unterschiedlichen Gedanken zu dem Stück, meinte der Sänger. Und wenn es sie glücklich macht, sei das großartig.

Kyrie eleison, down the road that I must travel
Kyrie eleison, through the darkness of the night
Kyrie eleison, where I\'m going will you follow
Kyrie eleison, on a highway in the light

In der Bibel gibt es auch ein Lied für Leute, die unterwegs sind. Es fängt so an:

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?

Und dann folgt auch da ein Ruf, der dem Kyrie eleison unseres Songs ganz ähnlich ist. Der Beter ruft:

Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat!
(Psalm 121)

Wenn das Leben eine Reise ist, dann brauche ich jemanden, der mich beschützt. Der wach ist, wenn ich schlafe. Der Gefahren abwehrt und mich nicht ins Unglück rasen lässt. In dem Lied der Bibel ist das derselbe Herr, der heute noch in den Kirchen angerufen wird mit Kyrie eleison, Herr erbarme dich! Und wie gut ist es, dass er nicht nur in den Kirchen da ist, sondern überall. Auch auf der Straße, die ich gerade fahre.

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