Jesus war kein Paartherapeut

Jesus war kein Paartherapeut

Ksenija Auksutat
Ein Beitrag von Ksenija Auksutat, Evangelische Pfarrerin, Stockstadt

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Jesus war kein Paartherapeut. Aber er hat etwas davon verstanden, was eine Ehe kaputtmachen kann: Das fehlende Vertrauen. Ehebruch, sagt Jesus, beginnt lange bevor man sich wirklich mit jemand anderem auf ein sexuelles Verhältnis außerhalb seiner Beziehung einlässt. Und schon der Gedanke daran, ist Ehebruch. Das sagte er seinen Gesprächspartnern, die mit ihm über die Geltung der Gebote diskutierten. Jesus hat es so ausgedrückt: „Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ (Matthäus-Evangelium 5,28)

Ehebruch geschieht, damals wie heute. Ein Seitensprung vielleicht, oder ein Affäre. Da ist zum Beispiel eine Bekannte von mir. Sie und ihr Mann führen eine scheinbar normale Ehe, zwei Kinder, Haus am Stadtrand. Aber es ist eine Ehe ohne Liebe, auch ohne erfüllenden Sex. Und dann begegnete meine Bekannte einem anderen Mann, auch verheiratet, auch unzufrieden. Die beiden haben ein Verhältnis begonnen. Sie treffen sich heimlich, finden Lust und Zufriedenheit. Aber immer in der Angst, etwas könnte heraus kommen. Beide leiden unter den Heimlichkeiten. Immer müssen sie irgendwelche Ausreden erfinden, es entsteht ein ganzes Lügengebäude. Und ihre Ehen werden dadurch immer weiter belastet. Nach zwei Jahren kommt alles heraus. Ihre Ehe wird geschieden, das Verhältnis zu dem anderen Mann ist dann auch zu ende gegangen.

„Du sollst nicht Ehe brechen“, das steht schon in den zehn Geboten. Es leuchtet ein, dass dieses Verbot Sinn macht. Das Beispiel von meiner Bekannten zeigt, wie es in den allermeisten Fällen ja geschieht: so viele Menschen sind durch diese heimliche Affäre belastet worden, verletzt, enttäuscht. Die beiden anderen Ehepartner, die Kinder und auch viele Freunde.

Ehebruch nein, aber: schon den Gedanken ans Fremdgehen, wie man ja sagt, verbieten – wie ist das denn gemeint? Ist man schon untreu, wenn man einer Person des anderen Geschlechts auf der Straße nachblickt? Geht man etwa schon fremd, wenn man sich mit jemandem lieber unterhält als mit meinem Partner? Ist jeder Flirt schon ein Akt der Untreue? Ich dachte früher immer, Jesus übertreibt hier. Und die Kirche, die diese Worte weiter getragen hat, ist einfach viel zu moralistisch, gerade in Fragen der Sexualmoral. Eben unmodern, einer überholten Weltordnung verhaftet.

Inzwischen sehe ich das Jesuswort jedoch anders. Ich bin selbst schon fast Fünfzig und seit mehr als zwanzig Jahren verheiratet. Ich habe viele Paare kennen gelernt, deren Ehe gescheitert ist, wie die von meiner Bekannten. Und ich habe gelernt: Bevor ein Partner sich in jemand anderen verliebt, muss in der Ehe schon eine ganze Menge schief gelaufen sein.

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Treu sein hat mit Vertrauen zu tun, beide Worte sind eng verwandt. Untreue beginnt, wenn man sich nicht mehr vertraut. Und das fängt in den meisten Beziehungen ganz langsam an, schleichend. Der renommierte amerikanische Paartherapeut John Gottmann hat darüber ein Buch geschrieben: „Die Vermessung der Liebe“. Mehr als 3000 Paare hat er in seinem „Love lab“, dem „Labor der Liebe“, beobachtet und befragt. John Gottmann sieht die Ursachen für Seitensprünge in einem schleichenden Verfall der Partnerschaft. Wenn das Interesse füreinander schwindet, man sich nicht mehr füreinander interessiert.

Eine ganz einfache Situation zum Beispiel. Eine Frau sagt zu ihrem Mann: „Ich habe im Radio von einem neuen Kinofilm gehört, wollen wir nicht mal wieder zusammen ins Kino gehen?“ Der Mann sitzt gerade an seinem Computer und will eigentlich nicht gestört werden. Er antwortet vielleicht ausweichend, können wir ja mal machen. Aber hat er verstanden, worum es seiner Frau geht? Geht es um die Geschichte die in diesem Kinofilm erzählt wird? Oder sagt sie zu ihm: Ich möchte mit dir mal wieder etwas gemeinsam unternehmen?

Man hört dem anderen nicht mehr zu, interessiert sich nicht dafür, wie es ihm beziehungsweise ihr geht. Man hat das Gefühl, dem anderen vielleicht sogar gleichgültig zu sein. Wer sich mit seinen ganz einfachen Wünschen dem anderen nicht mehr verständlich machen kann, verliert anscheinend auch das Vertrauen, dass seine tiefen und vertraulichen Wünsche von dem oder der anderen verstanden werden. Man redet über Alltägliches statt über seine Wünsche. Das wirkt sich auch auf das sexuelle Zusammensein aus.

Manche Paare richten sich ein in so einer Art mittelgrauer Alltagsnormalität, denken, na gut, dann eben nicht. Die Beziehung dümpelt so vor sich hin. Andere fangen an, sich zu streiten, sie kritisieren aneinander herum, werden verletzend in ihren Äußerungen und Verhaltensweisen, scheinbar ohne wirklichen Anlass. Das zerrüttet irgendwann die Ehe. Und vielleicht ganz unmerklich beginnt man, sein Verhalten zu ändern. Man wird offen für flirtige Situationen, lässt sich vielleicht irgendwann auf eine Affäre ein.

Wenn dann nach Monaten oder Jahren so eines Nebeneinanderher Lebens plötzlich jemand anderes ins Leben tritt, kann diese scheinbare Normalität eines Paares ganz schnell durcheinander gewirbelt werden. Man beginnt, den anderen mit dem Partner zu vergleichen, entdeckt plötzlich, was man alles vermisst. Fast 90 Prozent aller Seitensprünge entstehen aus so einer Gefühlslage heraus, hat der Paartherapeut Gottmann beobachtet. Wie ein Blitz kann sich bei der Begegnung mit jemand anderem das Gefühl einstellen: Hier nimmt mich ja jemand ernst, der oder die interessiert sich ja wirklich für mich.

Und was Jesus im Blick auf untreue Männer sagte, gilt heute auch für Frauen: „Wer einen Mann ansieht, ihn zu begehren, die hat schon mit ihm die Ehe gebrochen in ihrem Herzen.“ In zwei von drei Fällen, sagen die Forschungen, kommt es nach einem Seitensprung oder einer Affäre zu einer fast immer ja sehr schmerzhaften Trennung des Paares. Aber wie kann man das verhindern?

3.

Jesus war kein Paartherapeut, das gab es damals auch gar nicht. Aber er lebte mitten unter den Leuten, er sah Familien und Ehepaare, auch mit ihrem Streit, der Untreue, der Eifersucht. Er erlebte mit, wie Menschen sich mit ihren Verhaltensweisen einander das Herz schwer machen können. Das meinte er, wenn er sagte, schon der Gedanke an Ehebruch verletzt das Herz. Denn das Herz gilt als Sitz der Gefühle. Dort zerbricht etwas, sagt er, wenn man seine Liebesgefühle auf einen anderen richtet als den oder diejenige, der man seine Liebe und Treue versprochen hat.

Jesus war der Geist der Liebe in allen Beziehungen sehr wichtig. Das höchste Gebot, sagte Jesus einmal, lautet: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ „Liebe deinen Nächsten.“ In der Ehe heißt das: Liebe ist nicht, wenn jemand nur immer auf die eigene Bilanz schaut: Wie viel bekomme ich, wie viel gebe ich? Das ist eine egoistische Abrechnung. Liebe den anderen heißt: Nimm wahr, wie es ihr beziehungsweise ihm geht in eurer Ehe. Höre zu, frage nach, lehne Wünsche nicht gleich ab, sondern versteh erst mal.

Jesus sagt aber auch: „Liebe dich selbst.“ Liebe dich selbst heißt ganz einfach: Du musst auf dich achten. Wenn dir in deiner Ehe etwas fehlt, dann kümmere dich darum, sprich mit deinem Partner, deiner Partnerin. Warte nicht auf den Märchenprinzen oder die schöne Fee, die dir alle Wünsche erfüllt. Nicht immer gelingt das auf Anhieb. Das gilt besonders bei Meinungsverschiedenheiten. Denn besonders dann zeigt sich, ob jemand dazu fähig ist, den Standpunkt des Partners nachzuvollziehen und zu akzeptieren. Eine Eheberatung oder eine Paartherapie kann helfen, das einzuüben.

Besonders wenn das Vertrauen einmal gebrochen wurde, ist das schwer. Der Neuanfang in einer Beziehung geht nur über den Weg der Versöhnung und Vergebung. Jesus wusste, dass auch das nicht leicht ist. Vergebung war immer wieder ein Thema in seinen Worten. Und er forderte immer dazu auf, den eigenen Anteil an Konflikten wahrzunehmen. Nicht nur Vorwürfe an das Gegenüber zu richten, sondern zu erkennen, dass zu einem Konflikt immer zwei gehören, die auch beide ihren Anteil daran haben.

Doch gerade hier, wo so etwas wie der Kernbereich eines christlichen Umgangs miteinander berührt wird, tun sich viele Paare oft schwer, auch wenn sie kirchlich getraut wurden. Vielleicht, weil sie ein besonders überhöhtes Bild von der Ehe haben, die ja mit dem Segen Gottes geschlossen wurde.

Das Versprechen der Liebe und Treue bei der Hochzeit und der Segen Gottes in der kirchlichen Trauung sind nicht so etwas wie eine Versicherung. Auch in der Ehe, die vor Gott geschlossen wurde, ist man immer auf Vergebung angewiesen. Vergebung kann man nicht einfordern, man muss sie erbitten. Vergebung ist ein Geschenk, das ist nach einem Seitensprung nicht mit einem „tut mir leid“ getan.

Aber wenn Jesus so radikal sagt: Schon mit dem Gedanke an Untreue bricht man die Ehe, dann schwingt darin mit, dass schon der Gedanke an einen Vertrauensbruch die Beziehung verletzt. Niemand ist perfekt in seiner Liebe. Jeder ist auf Verständnis und Vergebung angewiesen, mal mehr, mal weniger.

Treue und eine gute Beziehung sind keine Selbstläufer. Der Wille, davor nicht zu flüchten, sondern sich den Herausforderungen einer guten Paarbeziehung zu stellen gehört dazu. Die Offenheit, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen. Und man muss sich für seine Ehe auch Zeit nehmen, Zeit zum Reden, Zuhören, etwas mit dem anderen erleben. Der Sonntag heute als freier Tag ist nicht nur zum Ausschlafen und Ausruhen gedacht. Es ist auch eine geschenkte Zeit für die Liebe seines Lebens.

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