Kleinigkeiten können die Welt verändern
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Kleinigkeiten können die Welt verändern

Thomas Zels
Ein Beitrag von Thomas Zels, Pastor, Freie evangelische Gemeinden Marburg

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Kleinigkeiten können die Welt verändern. Eine davon passierte in den USA der 50er Jahre. Eine Lehrerin bat ihre Schüler, die Namen aller anderen in der Klasse auf ein Blatt Papier zu schreiben und Platz daneben zu lassen. Dann sollten die Schüler überlegen, was das Netteste war, das sie über jeden ihrer Mitschüler sagen konnten. Das sollten sie dann neben die Namen schreiben. Es dauerte die ganze Stunde, bis jeder fertig war.

Übers Wochenende schrieb die Lehrerin jeden Schülernamen auf ein Blatt Papier und listete daneben alle Bemerkungen auf, die die Mitschüler über denjenigen aufgeschrieben hatten. Am Montag drauf gab sie jedem das Blatt mit seinem Namen. Schon nach kurzer Zeit lächelten alle. \"Wirklich?\", hörte man einige flüstern, \"das wusste ich gar nicht\". Manche erzählten, was auf ihrem Zettel stand. Andere erröteten nur, und schwiegen. Nach diesem Montag erwähnte niemand wieder diese Listen. Die Lehrerin wusste nicht, ob die Schüler sie untereinander oder mit ihren Eltern diskutiert hatten, aber das machte ihr nichts. Denn die Übung hatte ihren Zweck erfüllt. In den folgenden Tagen hat man an der Stimmung in der Klasse gemerkt: jeder war mit sich und den anderen glücklich.

Ein paar Jahre später verunglückte einer der ehemaligen Schüler tödlich und die Lehrerin ging zu seinem Begräbnis. Die Kirche war überfüllt mit vielen Freunden. Zum Schluss ging einer nach dem anderen am Sarg vorbei. Als die Lehrerin vor dem Sarg stand, fragte einer: \"Waren Sie Marks Mathelehrerin?\" Sie nickte. Dann sagte er: \"Mark hat sehr oft von Ihnen gesprochen.\"

Beim Treffen der Trauergemeinde danach waren die meisten von Marks früheren Schulfreunden versammelt. Marks Eltern waren auch da. "Wir wollen Ihnen etwas zeigen", sagte der Vater und zog eine Geldbörse aus seiner Tasche. "Das hatte Mark bei sich, als er verunglückt ist. Wir dachten, Sie würden es erkennen." Es war ein stark abgenutztes Blatt, mehrfach zusammengeklebt. Die Lehrerin wusste sofort, das war eines der Blätter, auf denen die netten Dinge standen. "Wir möchten Ihnen sehr dafür danken, dass Sie das gemacht haben." Viele frühere Schüler hörten das. Charlie sagte: "Ich hab meine Liste auch noch. Sie liegt in meinem Schreibtisch". Die Frau von Heinz sagte: "Heinz bat mich, die Liste in unser Hochzeitsalbum zu kleben." "Meine ist hier", sagte Monika. Sie zog ihren Taschenkalender hervor und zeigte ihre abgegriffene Liste. "Ich trage sie immer bei mir", sagte sie. Die Lehrerin musste sich setzen. Sie weinte um Mark, aber auch ein wenig vor Glück.

Bei dieser Geschichte denke ich: Ich vergesse oft, dass jedes Leben einmal endet und ich nicht weiß, wann. Deshalb will ich möglichst vielen Menschen sagen, was sie mir bedeuten. Wo ich ihre Stärken sehe, und warum sie mir wertvoll vorkommen. Ich will es ihnen sagen, solange die Gelegenheit da ist. Das hat auch einen schönen Nebeneffekt. Die Aufmerksamkeit, die ich anderen schenke, geben sie mir oft zurück.

Von Hermann Hesse kenne ich folgendes Zitat: Wenn wir einen Menschen glücklicher und heiterer machen können, so sollten wir es in jedem Fall tun, mag er uns darum bitten oder nicht. Kleinigkeiten können die Welt verändern. Und von diesen Kleinigkeiten gibt es viele.

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Kleinigkeiten haben die Welt wahrscheinlich mehr verändert, als große Ereignisse. Wie die Erfindung des Holznagels. Die ältesten Nägel der Welt halten einen Brunnen nahe Leipzig zusammen. Vor über 7000 Jahren verzahnten Handwerker Eichenplanken mit Holznägeln. Ab da konnte man fester und aufwändiger bauen, das revolutionierten die Wohnkultur. Kleinigkeiten verändern die Welt.

Oder das gedruckte Buch. Es löste eine mediale Revolution aus. 1440 vom deutschen Goldschmied Johannes Gutenberg erfunden, schaffte eine Druckerpresse 3600 Seiten pro Tag, vorher waren es im Handdruckverfahren nur 40. Und vor allem wurde das Buch zu einem Machtfaktor. Zum ersten Mal in der Weltgeschichte konnte sich der sogenannte "kleine Mann" eine eigene Meinung bilden.  Die Reformation hat durch den Buchdruck zur religiösen Mündigkeit der Menschen beigetragen. Die Aufklärung wäre ohne den Buchdruck auch nicht denkbar gewesen. Naturwissenschaften, Emanzipation und Menschenrechte, alles Früchte dieser kleinen Erfindung mit beweglichen Buchstaben. Deshalb wählte das Magazin Time-Life den Buchdruck zur bedeutendsten Erfindung des zweiten Jahrtausends.

"Selbst der Kleinste vermag den Lauf des Schicksals zu verändern." Dieser Schlüsselsatz in Tolkiens berühmten Roman Der Herr der Ringe wird dem Hobbit Frodo gesagt, der nur halb so groß ist wie ein ausgewachsener Mensch. Er hat zufällig einen Zauber-Ring geerbt, welcher die Mächtigen noch mächtiger machen kann. Um das zu verhindern, muss der Ring dort zerstört werden, wo er geschmiedet wurde. Im Kernland des Feindes. Natürlich hat Frodo Angst. Er ist klein. Er lebt gerne. Er liebt sein Zuhause und das gute Essen. Aber gerade, um all das zu bewahren, muss er handeln. Seine kleine Statur, seine Alltagsfähigkeiten und ein guter Freund helfen ihm schließlich, den Lauf des Schicksals tatsächlich zu verändern.

Diese erfundene Geschichte steht für viele Geschichten im wirklichen Leben. Kleinigkeiten können die Welt verändern. ICH kann die Welt verändern. Aber wie?

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Ein afrikanisches Sprichwort sagt: Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, verändern das Gesicht der Welt. Ich kann es auch mit Mutter Theresa sagen, dann klingt das so: Small things done with great love can change the world. Kleine Dinge mit großer Liebe getan, können die Welt verändern. Welche kleinen Dinge können das sein?

Es gibt ganze Bücher dazu. Ein Titel lautet "Einfach die Welt verändern - 50 kleine Ideen mit großer Wirkung." Da gibt es ökologische Ideen, wie "Pflanze einen Baum", "Verzichte auf Plastiktüten" oder "Schalte deine E-Geräte ganz aus". Da gibt es aber auch Ideen, wie diese: "Verschenke die Bücher, die dir gefallen haben", oder "Lies einem Kind eine Geschichte vor."

Viele Tipps betreffen das Zwischenmenschliche. "Verschenke ein Lächeln", "Spende Blut", oder "Gib dein Kleingeld für einen guten Zweck". "Biete deinen Sitzplatz an", "Verbringe Zeit mit einer anderen Generation", "Umarme jemanden". All diese Dinge sind klein, aber wirkungsvoll. Und sie erinnern mich an die Lehrerin, die ihren Schülern die Aufgabe stellte, das Gute an den anderen zu suchen und es ihnen aufzuschreiben.

Ich habe auch erlebt, dass mit oder für jemanden beten so etwas sein kann, oder einen Segen sprechen. Scheinbar nur eine kleine Sache. Die aber einen Menschen glücklich machen kann. Und Kraft gibt für einen nächsten Schritt.

Nach meiner Erfahrung ist es besser, nicht mit den großen, sondern mit den kleinen Dingen anzufangen. Die kleinen werden oft unterschätzt. Möglicherweise sagt der biblische Apostel Paulus aus diesem Grund: Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Die Kleinigkeiten sind es, die die Welt verändern.

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