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Die guten Vorsätze und der innere Schweinehund
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Die guten Vorsätze und der innere Schweinehund

Doris Joachim
Ein Beitrag von Doris Joachim, Evangelische Pfarrerin, Referentin für Gottesdienst im Zentrum Verkündigung, Frankfurt

I

Ich hab mir für 2014 vorgenommen, mir weniger Stress zu machen. Damit liege ich voll im Trend. Denn unter den Top-Ten der guten Vorsätze liegt in diesem Jahr genau das an erster Stelle. An zweiter Stelle steht: Mehr Zeit für Familie und Freunde. Und an dritter: Mehr Sport. Ja, das habe ich mir auch alles vorgenommen. Eigentlich wie jedes Jahr. Und nach knapp drei Wochen kann ich sagen: Das wird nicht klappen, jedenfalls nicht so, wie ich es will. Eigentlich erstaunlich. Wie kommt es, dass wir damit nicht aufhören – mit diesen guten Vorsätzen? Wäre es nicht besser, sich erst gar nichts vorzunehmen, damit die Enttäuschung anschließend nicht so groß ist? Dann wäre auch dieser ewige Kampf mit dem inneren Schweinehund zu Ende.

Aber offensichtlich können wir uns nicht vornehmen, uns nichts vorzunehmen. Denn da ist eine Hoffnung in den meisten Menschen, die nicht aufgeben will. Eine innere Stimme, die sagt: „Komm, versuch‘s noch mal. Gib nicht auf.“ Und ich bin froh darüber. Auch wenn es wirklich keinen Spaß macht, dauernd mit guten Vorsätzen zu scheitern. Ich habe mir überlegt: Was sind das für widerstreitende Mächte? Und was hat es mit dem inneren Schweinehund auf sich?

Mit inneren Schweinehunden haben schon die Menschen in der Bibel gekämpft. Der Apostel Paulus zum Beispiel. Der klagt darüber, dass er das Gute, das der tun will, nicht tut, sondern das, was er hasst. Und auch der Spruch „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ stammt aus der Bibel. Jesus hat das zu seinen Jüngern gesagt, als er in großer Not war, damals im Garten Gethsemane. Die Jünger nämlich waren eingeschlafen, anstatt ihrem Freund beizustehen.

Der innere Schweinehund ist träge. Oft wird ihm nachgesagt, er sei faul. Ich glaube das aber nicht. Das ist etwas anderes. So eine Art Kraftlosigkeit oder Mutlosigkeit. Der innere Schweinehund kann einen Menschen so sehr lähmen, dass er abends stundenlang vor dem Fernseher sitzt, statt Sport zu machen oder eine Freundin anzurufen. Er verführt einen zum Rauchen oder zu fettem Essen in der nächsten Imbissstube. Und er weigert sich standhaft, zur Darmspiegelung zu gehen. Es gibt aber auch hyperaktive Schweinehunde. Die machen Stress und sorgen dafür, dass man dauernd irgendwas machen muss – nur nicht das, was einem gut tut. So als sei man es sich selbst nicht wert. Das ist wie eine Lähmung der Seele, die den Körper fest auf die Couch drückt oder wo auch immer wir uns befinden. Und wir können nicht aufstehen und unser Leben ändern.

Das Verrückte an diesen Schweinehunden ist: Sie wissen so genau, was gut wäre . Es gibt viele Ratgeber zur ihrer Überwindung. Man müsse nur mal dies tun oder jenes lassen. Sich nicht zu viel vornehmen. Aber doch mit mehr Disziplin und so weiter. Das klingt oft sehr vernünftig. Schweinehunde sind leider nicht vernünftig. Und ich überlege, ob sie nicht was anderes brauchen als Disziplin und Überwindung. Darum will ich von einem Menschen aus der Bibel erzählen, der nach 38 Jahren endlich aufstehen kann und sein Leben ändern. (Joh 5,1-9)

Musik

II

Wie kommt man aus inneren Lähmungen heraus? Im Neuen Testament wird von einem Gelähmten erzählt. Der liegt schon seit 38 Jahren in so einer Art Kurhalle, an dem Teich Betesda in Jerusalem. Was seine Lähmung genau ist, wird nicht erzählt. Es ist oft so in der Bibel: Krankheiten sind nicht nur körperlich, sondern auch seelisch verursacht. Eine Lähmung der Seele, die den Körper unbeweglich macht. Mit dem Gelähmten liegen noch viele andere Kranke dort. Denn dem Wasser werden Heilkräfte nachgesagt. Dummerweise heilt es aber nur zu bestimmten Zeiten. Nämlich dann, wenn ein Engel das Wasser bewegt. Und es wird auch nur der geheilt, der als erster in den Teich hineinsteigt.

Keine Chance für unseren Gelähmten. Bis der bis zum Wasser gekrochen ist, ist längst schon einer vor ihm drin. Abgedrängt im Kampf um Gesundheit. Er ist festgelegt auf diese kranke Welt. Festgelegt auf die Trostlosigkeit. Festgelegt auf die Vorstellung, es gebe nur dort eine winzige Chance und nur für den ersten. Da gibt es zwar eine andere Stimme in ihm, die sagt: Gib nicht auf. Versuch‘s halt noch mal. Aber eigentlich versucht er das Falsche. Und er weiß: Das wird nichts mit den Teichen. Jesus trifft ihn dort und fragt: „Willst du gesund werden?“ Was für eine Frage! Natürlich, oder? Aber der Gelähmte antwortet kraftlos und voller Resignation: „Ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt. Ich bin nicht schnell genug. Immer ist einer schon vor mir drin.“

„Ich habe keinen Menschen.“ Wie traurig das klingt! Manchmal geht es einem so. Da ist man so sehr am Boden, dass man nicht mal mehr aufstehen will. Da flüstert einem die Mutlosigkeit zu: „Es hat doch eh keinen Sinn. Um mich kümmert sich niemand. Und ich selbst kann nicht.“ Die Lähmung der Seele macht den ganzen Körper lahm. Veränderung? Die wenigen Versuche scheitern. Gute Vorsätze allein reichen nicht.

Der innere Schweinehund kann krank machen, in bleierne Schwere und Depression führen, die der Wille nicht überwinden kann. Da brauchen wir Hilfe von außen. Jesus stellt diese Frage: „Willst du gesund werden?“ Und dann die Aufforderung: „Steh auf, nimm dein Bett und geh.“ Und der Kranke steht auf. Er nimmt sein Bett. Und er geht umher. Plötzlich geht es. Ohne Anstrengung. Einfach so, weil da ein Mensch ist, der genau nachfragt, was er braucht. Weil da jemand ist, der ihn liebevoll ansieht. Da kommt Bewegung in den Gelähmten, der glaubte, er müsste es bis zu so einem Teich schaffen, und dann wäre alles gut. Er hatte sich auf den falschen Weg festgelegt. Er hat gedacht, er müsse sich nur aufraffen und es endlich schaffen. Er musste gar nichts. Außer sich der heilende Liebe Gottes zu überlassen. Denn das kann Gottes Liebe: Menschen, die festgelegt sind auf ihr Leben und ihre Gewohnheiten,  zum aufrechten Gang verhelfen.

Musik

III

Was braucht eigentlich mein innerer Schweinehund, der mich manchmal so lähmt wie diesen Kranken am Teich Betesda? Ich stelle mir vor, er könnte reden. Er würde vielleicht sagen: „Nenne mich nicht faul. Und verachte mich nicht. Ich bin ein Teil von dir. Der Teil, der manchmal mutlos ist und kraftlos, dem die Hoffnung fehlt. Ich bremse dich oft aus und lass dich Dinge machen, die dir nicht gut tun. Und dann schämst du dich für mich und deine schlechten Gewohnheiten. Aber ich gehöre zu dir. Du kannst mich nicht einfach loswerden. Solange du mich bekämpfst, kann ich mich nicht ändern. Du musst mir helfen. Aber nicht mit noch mehr guten Vorsätzen. Die machen mir nur noch mehr Stress. Mach mir doch mal ein Angebot. Wenn du zum Beispiel joggen willst, musst du nicht gleich an den Berlin-Marathon denken. Versuche eher, mich liebevoll zu überreden – zu einem Spaziergang zum Beispiel. Dann können wir vielleicht noch mal über die Darmspiegelung verhandeln.“

So ein Gespräch mit dem inneren Schweinhund könnte ganz aufschlussreich sein, vielleicht sogar überraschend. Denn wer denkt schon daran, dass es da einen Teil in einem gibt, der mehr geachtet und gepflegt werden möchte? Ein Kampf gegen sich selbst kann da nicht helfen. Sondern eher Verhandlungen und Veränderungen in kleinen Schritten. Was viele Ratgeber sagen: Nimm dir nicht zu viel vor, aber finde einen Anfang, belohne dich selbst, aber gib dir auch einfach mal einen disziplinierten Tritt in den Hintern – das ist ja nicht verkehrt. Aber es muss noch was hinzukommen, damit die gelähmte Seele in Bewegung kommt. Nämlich: Barmherzig mit sich selbst sein. Und: Sich selbst mit liebevollem Blick betrachten. Weil das aber nicht immer so einfach geht, brauche ich Hilfe von außen. So wie der Gelähmte Heilung nicht bei dem Teich von Betesda findet, sondern bei Jesus.

Der hat den Gelähmten gefragt: „Willst du gesund werden?“ Andere Kranke fragte Jesus manchmal: „Was willst du, das ich für dich tun soll?“ Solche Fragen stellt Gott uns auch heute, uns und unserem inneren Schweinehund. Der Gelähmte wurde geheilt, als er merkte: „Ich bin jemandem wichtig. Da sieht mich jemand liebevoll an. Und: Wenn Jesus mich lieben kann, in dem Gott ist, dann kann ich es vielleicht auch selbst.“ Das brachte ihn in Bewegung. Seinen inneren Schweinehund hat er dabei nicht bekämpft oder überwunden, sondern einfach wie sein Bett unter den Arm genommen.

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