Beten

Beten ist so einfach. Man muss nur mitbeten. Nicht viel denken, sein Herz absuchen, nach Worten ringen. Das kann man auch machen, ist aber ein schwieriger Anfang. Ich werde schnell müde dabei und schlafe ein. Ich will aber einen leichteren Anfang schildern. Jetzt im Juni haben sich die Blätter der Bäume weit ausgebreitet und nehmen das Sonnenlicht auf. Auf ihre Weise antworten sie ihrem Schöpfer. Ohne Worte, unausgesprochen tun sie das. Wer in ihrem Schatten läuft, braucht es nur zu bemerken, sich darüber freuen und betet schon mit. Oder die Amsel, die im Flieder sitzt. Sie wippt auf einem Zweig und singt Variationen, als sei es ein Leichtes, jeden Morgen Telemanns Flötensonaten noch zu übertreffen. Auch der Vogel antwortet seinem Schöpfer. Ohne Sprache, ohne eine Vorstellung von dem, was er tut und tut es doch. Der Mensch aber, der sich dran freut und sich sagt „es ist gut“, der betet schon mit.

Aber wir danken nicht nur und loben. Auch wenn es schön ist, ist es doch kein Paradies: Das grüne Blatt antwortet seinem Schöpfer auf seine Weise. Das fallende Blatt ebenso. Der Vogel, der den Sommer besingt, antwortet; die Amsel, die vor dem Winter flieht, antwortet nicht weniger. Und der Mensch hat die besondere Begabung, das zu erkennen und zum Ausdruck zu bringen. Von Adam, dem ersten Menschen, wird erzählt, er habe alle Dinge der Schöpfung mit Namen nennen können. Adamssöhne und Evastöchter können aber nicht nur benennen, sie können mit der Kreatur ihrem Schöpfer Antwort geben. Mit den Pflanzen, den Tieren, den Menschen, mit denen sie leben. Sie können sich mit ihnen freuen am strahlenden Himmelblau und mit ihnen klagen. Sie können seufzen, wenn die Worte nicht fassen können, was es zu sagen gibt. Sie können schweigen, wenn keine Worte gemacht werden müssen.

Man braucht sich mit dem Beten keine Unruhe zu machen, was alles zu beten wäre. Man braucht auch Gott nicht umzutreiben mit seinem Gebet, was er alles zu tun und zu lassen hat. Das wird er selber wissen. Beten ist viel weniger ein Suchen nach Worten, absuchen und Herz ausforschen. Beten heißt miteinander zu teilen, was die Herzen von alleine bewegt.