Siegen ist einfach, verlieren nicht
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Siegen ist einfach, verlieren nicht

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel

Den Satz will heute keiner hören: Es ist doch nur ein Spiel. Der Satz stimmt zwar, ist aber trotzdem falsch. Es geht heute Abend in London um viel mehr als um Fußball. Es spielen nicht Dortmund und München, es spielen zwei Welten gegeneinander. Weiß-blauer Himmel gegen schwarze Kohle, feine Gesellschaft gegen die Malocher, viel Geld gegen weniger Geld. Unzählige Tierorakel wurden befragt. Und dann die Eigenwerbung der Mannschaften: „Echte Liebe“ gegen „Mia san mia“. Da ist wenig Fußball, aber viel Weltanschauung und noch mehr Religion. Dazu noch der Fußballgott. Auf welcher Seite steht der eigentlich?

Das weiß ich nicht, leider. Gewinner werden den Fußballgott auf ihrer Seite sehen; Verlierer sich mit ihm trösten. Vielleicht ist Gott eher auf Seiten derer, die Trost brauchen. Könnte ja sein. Und weniger auf der Seite der Überheblichen. Die Gesunden brauchen keinen Arzt, hat Jesus gesagt (Neues Testament, Lukasevangelium Kapitel 5, Vers 31). Wäre also möglich, dass Gott bei den Verlierern ist. Wie auch immer. Es werden viele Gebete gesprochen vor und während des Spiels. Stoßgebete, Bittgebete, hoffentlich dann auch Dankgebete. Im Stadion ist es wie in einer Kirche. Menschen verschränken ihre Hände und erflehen Hilfe von oben, vor allem, wenn’s schief zu gehen droht. Spieler bekreuzigen sich und danken dem Himmel für ihr Tor. Wo sonst sollten Menschen auch hin mit Sorgen und Freuden, wenn nicht in Richtung Himmel?

Ich bin dabei heute Abend; und hätte auch ein Gebet, ein kleines. Dass die Sieger nicht übermütig werden, hoffe ich. Dass sie den Verlierer achten. Siegen ist so einfach, verlieren nicht. Wer verliert, wünscht sich wenigstens noch Achtung. Vielleicht schaffen es die Sieger ja, die Verlierer für sich zu gewinnen. Mit welcher Geste auch immer. Ach, lieber Gott, es ist nicht so einfach mit dem Fußball als Religion. Bitte hilf doch ein wenig dabei, dass es ein Spiel bleibt.

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