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Warum ich meinen Hut ziehe
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Warum ich meinen Hut ziehe

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel

Vor diesem Mann ziehe ich meinen Hut. Welch eine Karriere. Schule abgebrochen, Lehre abgebrochen, politisch aktiv bis an den Rand des Gefängnisses. Dann aber die Wende: keine Gewalt mehr, dafür scharfe Reden für den Erhalt der Schöpfung, grün bis unter die Haarwurzeln. Erst hessischer Minister, zuletzt sieben Jahre deutscher Außenminister. Heute wird Joschka Fischer, lange Jahre Frankfurter, 65 Jahre alt. Man muss ihn oder seine Partei nicht mögen, meinen Hut ziehe aber ich trotzdem vor ihm. Welch ein Leben... Das hätte auch anders ausgehen können.

Man staunt ja manchmal, was aus einem Leben wird. Niemand hätte das gedacht oder voraussagen können. Da ist das Mädchen, dem keiner etwas zutraut, lange Jahre nicht. Das schaffst du nie, sagen alle, so wie du bist. Und was geschieht? Das Mädchen wird eine junge Frau, dann eine fleißige Frau. Eines Tages sitzt sie im Aufsichtsrat eines Unternehmens. Oder der Junge mit der schlechten Sozialprognose, wie das im Amtsdeutsch heißt. Zweimal sitzen geblieben, von der Schule geflogen, Heim und Jugendgefängnis. Dann, still und allmählich, die Wende. Aus dem Flegel wird erst ein höflicher, später ein reicher Mann, der mit Computern Geld verdient und viel von dem Geld einsetzt für Jugendliche, die zu verwahrlosen drohen. Wer hätte das gedacht...

Niemand hätte das gedacht. Niemand hätte es denen zugetraut, die aus dunklen Ecken ins helle Licht kommen. Gott findet oft seltsame Wege, aus Menschen etwas zu machen. Manche klopfen sich lieber selber auf die Schulter, ich weiß. Aber ich glaube nicht allein an eigene Kräfte. Da ist mehr. Immer ist auch ein wenig Fügung dabei, wenn jemand seinen Weg verlässt und einen Weg findet, der ihm und anderen gut tut. Plötzlich sind die einst Verachteten die Beachteten, die man beklatscht und gerne in seiner Nähe hat. Man kann das Glück nennen; ich sage lieber Geschenk oder Gnade. Und ziehe meinen Hut vor denen, die nicht allein für sich, sondern auch im Dienst für andere leben.

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