Medaillen küssen
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Medaillen küssen

Kurt Grützner
Ein Beitrag von Kurt Grützner, Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel

Warum eigentlich küssen Sieger ihre Medaillen? Sie kennen die Bilder: der Sieger steigt aufs Treppchen. Die Medaille wird ihm um den Hals gehängt. Triumphierend reißt er die Arme hoch. Und dann nimmt er die Medaille in die Hand, führt sie zum Mund und küsst sie.

Also wenn sie mich fragen: Ich küsse lieber meine Frau: um ihr zu zeigen, dass ich sie liebe. Ich küsse meine Kinder auf Stirn und Wange, um ihnen zu zeigen, dass ich sie lieb habe. Orthodoxe Christen küssen die Ikone, die oft am Eingang zur Kirche unter Glas gezeigt wird. Katholische Priester küssen die Stola, bevor sie sie für den Gottesdienst umlegen. Sie zeigen ihre Liebe und Ehrerbietung Gott gegenüber. Was zeigen die Sieger, die ihre Medaille küssen? Ihre Liebe zum Erfolg? Ihre Liebe zum olympischen Komitee, das die Medaille verleiht, oder ihre Liebe zu sich selbst, dem Erfolgreichen?

Nein, ich bin nicht neidisch, auch wenn ich noch nie eine Medaille gewonnen habe. Ich gönne ihnen den Erfolg von Herzen, uns wenn’s unsere Jungs und Mädels sind, freue ich mich sogar mit ihnen. Ist ja fast so, als hätte ich selber gewonnen. Außerdem heißt es doch: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Die medaillenküssenden Sieger zelebrieren mit ihrem Kuss den zweiten Teil Jesu Gebot: erst einmal sich selbst zu lieben, bevor ich Nächstenliebe übe. Daran hapert es wirklich bei vielen Menschen: dass sie sich selbst nicht lieben können. Wie sollen sie dann den Nächsten lieben?

Einen Haken hat die Sache aber: Sich selbst zu lieben, wenn ich Erfolg habe, der auch öffentlich anerkannt und zelebriert wird, ist nicht so schwer. Was ist aber, wenn ich kein Sieger bin, nicht öffentlich gefeiert werde?

Was ich von dem in Jesus menschgewordenen Gott verstanden habe ist, dass er den Menschen liebt, auch wenn er nicht Erster geworden ist. Manchmal liebt er sogar den mehr, der Letzter wurde.

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