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Toleranz üben üben
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Toleranz üben üben

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

Im Badezimmer am Rand des Waschbeckens steht ein Zahnputzglas. Die blaue Zahnbürste ist sauber ausgewaschen und steht gerade im Glas, daneben eine Zahnpasta-Tube, akkurat ausgedrückt und am Ende ordentlich zusammengerollt. Auf der anderen Seite des Wasserhahns liegt eine lila Zahnbürste, die Reste von Zahnpasta kleben noch an ihr. Die Tube ist nicht einmal zugeschraubt. Ein Badezimmer und zwei Welten, Ordnung und Unordnung. Dieses Motiv findet man seit einigen Tagen auf Plakaten der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Unten drunter steht in großer Schrift: Andere Spielregeln kennenlernen.

Auf einem anderen Plakat sieht man eine Fan-Kurve im Fußball-Stadion. Die Fans halten die Schals und Banner von ihrem Lieblingsverein hoch, jubeln und machen gute Stimmung. Ein vertrautes Bild. Das einzige, was irritiert: Die Schals haben unterschiedliche Farben und gehören zu unterschiedlichen Vereinen. Da findet sich neben Kickers Offenbach und Mainz 05 auch Eintracht Frankfurt. Das ist natürlich kein Original-Bild. So etwas gibt es in Wirklichkeit nicht. Denn die Fans von einem Verein jubeln am liebsten zusammen in ihrer eigenen Fan-Kurve. Unter dem Plakat prangt die Aufschrift: Andere Kurven kennenlernen. Und noch weiter unten steht: Toleranz üben üben.

Jesus ist ein gutes Beispiel für Toleranz. Er verliert nie den einzelnen Menschen aus dem Blick. Er sagt: „Liebe deinen Nächsten. Er ist wie du!“ Damit meint er, dass der Mensch neben mir genau wie ich seine Qualitäten und seine Grenzen hat, dass er genau wie ich etwas zu essen braucht und sich nach Zuwendung und Liebe sehnt. Bei der Aktion der evangelischen Kirche für Toleranz ist der Satz von Jesus abgewandelt: „Liebe deinen Mitmenschen. Er ist NICHT wie du!“ Merkwürdig, dass dieser Satz genauso zu dem passt, was Jesus will. Denn an den Unterschieden zwischen den Menschen entstehen die Schwierigkeiten. Und gerade da ist ein großes Herz nötig, und die Liebe, zu der Jesus auffordert.

Mit dem Zahnputz-Plakat und dem Fußball-Plakat wirbt die evangelische Kirche für Toleranz. Kein Problem, habe ich zuerst gedacht. Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich nur dann sehr tolerant bin, wenn mir eine Sache gleichgültig ist. Welches Auto das Beste ist oder welcher Fußballverein, ist mir eigentlich egal. Wo es mir nicht egal ist, da bin ich gar nicht so tolerant. Zum Beispiel, wenn ich mich manchmal morgens über meinen Mann ärgere, wenn er im Bad das Licht anlässt und die Zahnbürste an unmöglichen Stellen herumliegt. Nicht ärgern, nur wundern, sage ich mir dann. Oder wenn meine politische Partei bei der Wahl nicht gewonnen hat. Dann heißt es, zu verstehen, dass auch die anderen sich anstrengen, Deutschland gut zu regieren.

Tolerant sein ist schwerer als gedacht, finde ich. Beim nahen Menschen, der mich nervt. Und genauso beim fremden Menschen, der anders ist. Toleranz muss ich richtig trainieren. Und wenn es heute noch nicht so gut klappt, dann vielleicht morgen. Gott weiß ja, wie schwer es mir fällt.

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