Schatz im Keller
Seit Anfang des Jahres hängt ein kleines Ölgemälde gegenüber meinem Schreibtisch. „An der Nidda“ heißt es und zeigt das Flüsschen, wie es in einer leichten Biegung, von Wiesen und Büschen gesäumt, dahin fließt. Im Hintergrund die Höhen des Vogelsberges, überspannt von einem Himmel mit leichten Schäfchenwolken.
Bis wenige Wochen vor Weihnachten hatte das Bild bei uns im Keller gestanden. Aus meinem Elternhaus war es in unseren Haushalt gewandert und hatte dort keinen rechten Platz an der Wand gefunden. So landete es im Keller, inzwischen schon ziemlich verstaubt und mit Rissen in der Leinwand. Meine Frau hat es wieder entdeckt, reinigen und reparieren lassen und mir zu Weihnachten geschenkt. Jetzt hängt es, neu gerahmt, so, dass ich es jeden Tag sehen kann.
Ein Schatz im Keller – irgendwie wussten wir ja immer, dass wir ihn hatten. Aber es hatte sich nie die Gelegenheit ergeben, ihn zu heben. Oder besser: Wir hatten uns die Mühe nicht machen wollen. Aber jetzt bin ich froh, dass er wieder entdeckt ist.
Solche verborgenen Schätze gibt es nicht nur in den Kellern oder auf den Speichern unserer Häuser. Die gibt es auch in unserer Biographie.
Da gibt es alte Freundschaften, die sich irgendwann verlaufen haben. Es hat gar keinen Streit gegeben, sondern man hat sich irgendwie aus den Augen verloren. Vielleicht alle paar Jahre mal ein Urlaubsgruß oder eine Weihnachtskarte. Aber immer wieder einmal denkt man noch an den Freund, die Freundin. War doch eine schöne Zeit mit ihm… Was sie jetzt wohl macht? Und meistens fehlt nur der Anstoß, einfach die Adresse ausfindig zu machen und anzurufen: Wie geht’s dir, was machst du jetzt…?
Es gibt alte Interessen oder Hobbys, für die irgendwann keine Zeit mehr blieb. Die Arbeit hat in Beschlag genommen; die Familie; und dann war einfach anderes dran. Nur ab und zu kommt einem der Gedanke: Du hast doch früher mal Trompete gespielt… Oder: War doch schön, einmal in der Woche mit anderen Sport zu machen… Aber meistens bleibt es bei diesen Gedanken und einer leisen Sehnsucht – und dem unbestimmten Gefühl, etwas verloren zu haben.
Eigentlich braucht es nur einen Anstoß, diese Schätze im Keller unserer Biographie zu heben. Warum eigentlich nicht der spontanen Idee nachgehen und zum Telefonhörer greifen oder die Trompete wieder einmal aus dem Koffer nehmen oder beim Sportverein nach einer Freizeitsportgruppe fragen….
Zu verlieren hat man dabei wenig. Aber vielleicht kann man einen Schatz wieder ans Licht holen und sich daran freuen.