
Gebetswoche für die Einheit der Christen
Zusammen glauben, feiern, beten
Autor: Pastor Karl-Martin Unrath, Frankfurt • Musikkonzeption: Burkhard Jungcurt
Musik
Am Jaffator wurden wir von palästinensischen Jugendlichen angegriffen. Mit Schneebällen.
Die hatten wirklich Spaß. Wir auch. Natürlich haben wir zurückgeschossen.
Wir waren aus der judäischen Wüste gekommen und am Abend zuvor in Jerusalem eingetroffen. Da hatte es schon zu schneien begonnen. Bis zum Morgen waren in Jerusalem 30 cm Neuschnee gefallen. Der Verkehr brach nicht etwa zusammen, er fand gar nicht statt. Auch zu Fuß war kaum ein Durchkommen. Wer hat in Jerusalem schon eine Schneeschippe, um den Gehweg zu räumen? Aber natürlich ließen wir uns von so ein bisschen Schnee nicht davon abhalten, in die Altstadt zu gehen.
Was für ein Anblick: Jerusalem im Schnee. Wir konnten es kaum glauben. Die Menschen in Jerusalem und im Heiligen Land konnten es auch kaum glauben. Mit Sonderzügen wurden Schulkinder aus Tel Aviv nach Jerusalem hinaufgefahren, um das zu erleben.
Jerusalem war wie verzaubert an jenem Tag.
Auf den Flachdächern der von Palästinensern bewohnten Altstadt tobte eine große Schneeballschlacht. Orthodoxe Juden, die man sonst mit ernstem Gesicht Gebete murmelnd durch die Stadt eilen sieht, bauten Schneemänner vor der Klagemauer. Sie waren selig wie Kinder.
Die Stadt war heiter.
An diesem Wintertag wurde sie ihrem Namen gerecht: Jerusalem – Stadt des Friedens.
Musik
Ein bisschen Schnee hatte genügt, um Jerusalem Frieden zu bringen.
Aber es schneit fast nie in Jerusalem.
Es ist kein Frieden in Jerusalem. Es ist kein Frieden im Heiligen Land.
Nicht für Juden. Nicht für Palästinenser.
Der israelisch-palästinensische Konflikt wird zumeist als ein jüdisch-muslimischer Konflikt wahrgenommen. Dabei wird oft vergessen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Palästinenser Christen sind. Alleine in Israel und Palästina gibt es etwa 150.000 palästinensische Christen.
Die Lebenssituation der Christen im Nahen Osten ist vielfach bedrückend. Terror gegen Christen, wie in den ersten Stunden des neuen Jahres auf eine koptische Gemeinde in Ägypten, ist gewiss die Ausnahme. Aber die Angst, die der Terror auslöst, ist alltäglich. Nicht immer und nicht überall, aber oft werden die Christen diskriminiert; in der Schule, in der Ausbildung und im Beruf benachteiligt.
So ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Christen den Nahen Osten verlassen. Wenn sie können, wandern sie in die USA aus oder nach Kanada. Es gibt in Nordamerika mehr arabische Christen als im ganzen nahen Osten.
Natürlich unterscheidet sich die Situation der palästinensischen Christen in Israel und Palästina von der in arabisch-muslimischen Ländern. Werden sie dort diskriminiert, weil sie Christen sind, so ist ihre Lebenssituation hier bedrückend, weil sie Palästinenser sind. Das Ergebnis ist oft das gleiche: Viele verlassen das Land.
Musik
Bereits im Dezember 2009 hat eine Gruppe von Christen aus Israel und Palästina auf die bedrückende Situation des palästinensischen Volkes aufmerksam gemacht. Sie veröffentlichten das sogenannte „Kairos-Palästina-Dokument“. Kairos ist das griechische Wort für Zeit. Gemeint ist der richtige, der notwendende Zeitpunkt. „Die Stunde der Wahrheit:“, ist das Dokument dann auch überschrieben. „Ein Wort des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aus der Mitte des Leidens der Palästinenser und Palästinenserinnen“
Die einleitenden Sätze machen den Charakter des Papieres deutlich. Das Dokument ist ein verzweifelter Hilferuf, allerdings auch eine unerbittliche Anklage gegen Israel:
„Nach Gebet, Nachdenken und Meinungsaustausch“, heißt es da, „erheben wir, eine Gruppe christlicher Palästinenser und Palästinenserinnen, mitten aus dem Leiden unseres von Israel besetzten Landes heraus unsere Stimme zu einem Schrei der Hoffnung, wo keine Hoffnung ist, zu einem Schrei, der erfüllt ist vom Gebet und von dem Glauben an Gott, der in Seiner göttlichen Güte über alle Bewohnerinnen und Bewohner dieses Landes wacht…. Warum jetzt? Weil das tragische Schicksal des palästinensischen Volkes heute ausweglos geworden ist. Wir wenden uns …an die Weltgemeinschaft und an unsere christlichen Brüder und Schwestern in den Kirchen in aller Welt.“
Die Siedlungspolitik Israels, die Mauer zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten werden in diesem Dokument als schweres Unrecht gegeißelt. Der palästinensische Widerstand wird als Folge der Besetzung palästinensischer Gebiete bezeichnet. Die umgekehrte, israelische Logik, nachdem die Besetzung und eine harte Sicherheitspolitik Folge palästinensischen Terrors seien, wird als unwahr zurückgewiesen: „Unserer Auffassung nach stellt diese Vorstellung die Realität auf den Kopf“, heißt es. Und weiter: „Ja, es gibt palästinensischen Widerstand gegen die Besetzung. Wenn es jedoch keine Besetzung gäbe, gäbe es auch keinen Widerstand, keine Angst und keine Unsicherheit. Das ist unsere Sicht der Dinge.“
Man wird diese Sicht der Dinge durchaus noch einmal kritisch hinterfragen dürfen, ja müssen. Aber die politische Bewertung der Ursachen von Besetzung und Widerstand, von Widerstand und Besetzung sind an diesem Dokument nicht das Entscheidende. Entscheidend ist die tiefe Verzweiflung über die Situation im Heiligen Land, und insbesondere über die Lebenssituation des palästinensischen Volkes.
Verbreitet wurde das Kairos-Palästina-Dokument durch den Ökumenischen Weltrat der Kirchen in Genf, mit der Bitte an die Christen der Welt, sich zu dem Dokument zu äußern. Von den Christen Südafrikas kam im März 2010 eine der ersten Stellungnahmen zu dem Hilferuf der palästinensischen Christen. Sie schreiben: „Aus unserer eigenen Erfahrung mit Apartheid können wir klar und ohne auszuweichen sagen, dass Eure Situation im Kern nichts anderes ist als Apartheid und in ihren praktischen Auswirkungen genau so übel ist wie die südafrikanische Apartheid.“ (Übersetzung von mir.kmu) Das Wort „Apartheid“ vermeidet das Kairos-Dokument übrigens, den Vergleich mit Südafrika allerdings nicht.
In Deutschland, wird das Kairos-Palästina-Dokument kontrovers diskutiert. In Teilen der protestantischen Kirchen findet das Papier durchaus Zustimmung. Es gibt aber auch massive Ablehnung.
Die Deutsch-Israelische-Gesellschaft (DIG) bezeichnet das Papier „aus theologischer und politischer Sicht als inakzeptabel“. In diesem Dokument werde mit „scheintheologischen Argumenten“ Stimmungsmache gegen Israel betrieben, die nicht akzeptiert werden könne. Statt im Geist des Evangeliums für Frieden, Versöhnung und Vertrauensbildung einzutreten, würden die Verfasser des Dokuments den jahrzehntelangen Terror der Hamas leugnen und den Staat Israel als alleinigen Verursacher der Probleme darzustellen versuchen. Der Präsident der Deutsch-Israelischen- Gesellschaft, Reinhold Robbe, wörtlich: „In diesem pseudochristlichen Papier wird die Bergpredigt ins Gegenteil verkehrt.“
Differenzierter äußert sich der Deutsche Koordinierungsrat des Internationalen Rates der Christen und Juden. Er sagt: In dem Papier der palästinensischen Christen werden die historischen und politischen Ursachen des israelisch-palästinensischen Konfliktes einseitig und zum Teil falsch dargestellt. Er weist es zurück, Israel mit dem Apartheidstaat Südafrika zu vergleichen. Denn: Rassismus ist kein Prinzip israelischer Politik – was man vom Antisemitismus in arabischen Staaten leider nicht sagen kann. Einem Boykottaufruf gegen israelische Waren und Güter, wie in dem Dokument ins Gespräch gebracht, ist zu widersprechen. Nicht zustimmungsfähig ist auch die in dem Papier formulierte Hochachtung vor allen (!), die ihr Leben für die palästinensische Nation hingegeben haben. Darunter sind ja auch die Selbstmordattentäter.
Aber der Deutsche Koordinierungsrat der Christen und Juden würdigt, dass das Papier sich klar abgrenzt von Gewalt und Terror als Mittel der Auseinandersetzung und dass die palästinensischen Christen an die Muslime appellieren, Fanatismus und Extremismus abzuschwören.
Insbesondere aber sollte wahrgenommen werden, dass dieses Dokument Ausdruck einer unendlich leidvollen Realität des palästinensischen Volkes ist.
Diese muss überwunden werden.
Das ist freilich keine neue Erkenntnis. Sie bestimmt vielmehr seit Jahrzehnten die politische Agenda.
Mit dem Kairos-Palästina-Dokument wird allerdings die Frage gestellt, was der spezifisch christliche Beitrag zum Frieden in Israel und Palästina sein kann.
Musik
Was können Christen, was können die Kirchen zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes beitragen?
Die Antwort auf diese Frage kann nur aus dem Evangelium selbst kommen. Und sie kann nur von den Christen Palästinas gegeben werden.
Die Christen Jerusalems haben eine Antwort gegeben. In diesen Tagen wird sie überall auf der Welt gehört und bedacht werden. Das Jerusalem-Interchurch-Centre, das ist ein Zusammenschluss von 13 Kirchen in Alt-Jerusalem, hat die Vorlage für die Gebetswoche für die Einheit der Christen erarbeitet, die vom kommenden Dienstag an eine Woche lang weltweit gefeiert werden wird. Jährlich kommt die Vorlage für die Gebetswoche aus einem anderen Land. Verantwortet wird sie vom Ökumenischen Weltkirchenrat in Genf und dem päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit in Rom. Die deutsche Fassung wird von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland herausgegeben. Seit über 100 Jahren verbindet die Gebetswoche für die Einheit der Christen Kirchen, Konfessionen und Kulturen – über alle Grenzen hinweg.
Die Gebetswoche hat immer ein biblisches Thema. Die Kirchen Jerusalems haben einen Vers aus dem Neuen Testament ausgewählt, aus der Apostelgeschichte. Da wird von den ersten Christen berichtet: Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten (Acta 2,42, Einheitsübersetzung).
Der deutsche Titel fasst das kürzer: Zusammen glauben, feiern, beten.
Diese Erinnerung an das Leben der ersten Christen in Jerusalem kann dem Frieden zwischen Israelis und Palästinensern dienen.
Die Christen hielten an der Lehre der Apostel fest. Das heißt, sie hielten sich an das, was ihnen von Jesus Christus gesagt war. Dass er die Liebe Gottes ist, die jedem Menschen gilt, bedingungslos. Die alles überwindet, stärker ist als jeder Schrecken, mächtiger auch als der Tod.
Und indem sie das taten, konnten sie bedingungslos solidarisch sein. Sie ließen sich nicht auseinanderdividieren; nicht durch soziale Fragen, nicht durch wirtschaftliche Nöte – durch nichts. Bedingungslos solidarisch, das ist gemeint, wenn es heißt: Sie hielten an der Gemeinschaft fest.
Auch am Brechen des Brotes hielten sie fest, das heißt, sie feierten miteinander das Abendmahl. Das biblische Wort dafür ist „Eucharistie“, Danksagung. Dank für die Liebe Gottes, für die Versöhnung, für die Verheißung seiner Gerechtigkeit. Und indem sie nicht müde wurden, diesen Dank zu feiern, waren und wurden sie Menschen der Liebe, der Versöhnung und der Gerechtigkeit: Menschen des Friedens.
Und sie hielten fest an den Gebeten. In Klage und Lob und Dank. In Bitte und Fürbitte. Sie blieben im Gespräch mit Gott. Sie hörten nicht auf, mit ihm zu rechnen. Sie blieben in einer Beziehung des Vertrauens.
Zusammen glauben, feiern, beten.
Sich auf die Liebe Gottes verlassen, solidarisch sein, dankbar bleiben und nicht aufhören, vertrauensvoll mit Gott zu rechnen – das ist der christliche Beitrag zum Frieden.
Manchem mag das fast banal klingen, aber in einer Lebenssituation wie der der palästinensischen Christinnen und Christen wird dieses christliche Friedenszeugnis zu einer fast übermenschlichen Herausforderung. Lieben statt hassen, solidarisch sein statt abrechnen, dankbar bleiben statt bitter werden, hoffen gegen den Augenschein – und das alles nach Jahrzehnten des Unfriedens – das ist mehr, als man erwarten darf. Und ist doch das, was man von Christen erwarten muss.
Das Kairos-Palästina-Dokument macht, bei all seinen problematischen Passagen, die Bereitschaft zu diesem Friedenszeugnis deutlich. Mehrfach wird auf das Liebesgebot Christi verwiesen, das alleine Feindschaft und Ungerechtigkeit überwinden kann. „Liebe ist das Gebot Christi, unseres Herrn, an uns, und es gilt für Freunde wie für Feinde“, heißt es in dem Dokument ausdrücklich.
Die Gebetswoche für die Einheit der Christen rückt die Situation der palästinensischen Christen ins Blickfeld von Christinnen und Christen überall auf der Welt. Sie informieren sich über deren Situation. Viele werden Worte der Ermutigung finden und Taten der Unterstützung, auch der materiellen. Sie werden für die bedrängten Mitchristen beten. All das wird das Friedenszeugnis der palästinensischen Christinnen und Christen stärken und dem Frieden zwischen Israelis und Palästinensern dienen. Mehr noch als der Schnee, der Jerusalem, die Stadt des Friedens, für einen Wintertag verzaubert hatte.