Erntedank
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Erntedank

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau

Basst off, kriggt jetz kenn Schrägge, wenn ehr dos net verstädt, awwer dos müss jetz mol sei, weil haure der Dog, der hött fehr mech fehrl domerre ze dü, wo ech her komme. Das war: Ernsthäuser Blatt. In einwandfreies Hochdeutsch übertragen heißt das: Liebe Hörerinnen und Hörer, bitte seien Sie nicht irritiert, wenn Sie nicht alles verstehen können, denn der heutige Tag hat viel mit meiner Herkunft zu tun.

Ob mein Heimatdialekt einmal genauso angesagt werden muss wie die Fremdsprachenversion des Inhaltes der ‚Sendung mit der Maus’? Viele gibt es ja nicht mehr, die Dialekt sprechen, und meine Großeltern haben in dieser Sprache sogar noch gedacht.

Und wie viele gibt es noch, die mit dem Erntedankfest heute ganz eigene, persönliche Gedanken und Erinnerungen verbinden?

Ich komme vom Bauernhof. Erntedank das war immer ‚unser’ Fest. Da haben wir die Kirche schön gemacht. Mit dem, was wir das Jahr über geerntet haben. Unsere Früchte haben den Altarraum geschmückt. Natürlich nur die größten Kartoffeln, Rüben, Kohlköpfe und die schönsten Ährengarben. Ein bisschen Prahlen gehörte schon dazu. Der Gottesdienst am Erntedankfest bedeutete für mich immer ein unmittelbares Erlebnis, da ging‘s um mich und meine Welt, und Gott gehörte dazu, das, was er sagt und mir von ihm gesagt wird. Ein Bibeltext zum Erntedankfest hat mich besonders berührt. Ich lese aus dem 12. Kapitel des Lukasevangeliums:

Und Jesus sagte ihnen ein Gleichnis und sprach:
Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. Und er dachte bei sich selbst und sprach: ‚Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.’
Und er sprach: ’Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größerebauen, und will darin sammeln all’ mein Korn und meine Vorräte und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Muße, iss, trink, und habe guten Mut.’
Aber Gott sprach zu ihm: ‚Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?’
So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.

Ob sie sich meine Gefühle bei so einem Bibeltext vorstellen können? Ich war jedes Mal so etwas von wütend! Da rackert man sich ab, macht alles gut und schön, und dann so eine Geschichte, die alles mies macht. Mich hat das persönlich getroffen, dass der liebe Herr Jesus hier scheinbar die Bauern beschimpft. Kann man’s ihm denn nie recht machen Naja, manche haben’s ja versucht, etwas aus dem Text zu machen. Aber viele sind lieber erst gar nicht auf meine Gefühle eingegangen - ob sie die überhaupt kannten? Es gab auch Pfarrer, die versucht haben, das Ganze so zu erklären: das wäre ja nicht der bäuerliche Familienbetrieb, den Jesus da kritisiert, sondern er hält eine flammende Rede gegen die ausbeuterischen Großgrundbesitzer, da bekam Jesus dann das Image eines Revolutionärs, das war mir schon sympathischer.

So richtig zufriedengestellt hat mich keine der Erklärungen und Deutungen. Am Ende des Gleichnisses habe ich Jesus immer widersprochen: ’Was du da beschreibst, so lebt und handelt doch kein Bauer!’ habe ich Jesus im inneren Dialog gesagt. ‚Klar liegt der Sinn der Ernte auch im Genuss des Ertrages, dafür, und aus Dankbarkeit, feiern wir ja schließlich. Aber nach jeder Ernte beginnen doch die Vorbereitungen von Neuem. Bauern denken und handeln, sie leben in einem Kreislauf: die neue Aussaat muss vorbereitet werden, das Vieh braucht jeden Tag Futter und Pflege. So ist das: eine Kuh macht Muh, viele Kühe machen Mühe. Gar nicht zu denken an die Pflege der Geräte über den Winter und die Vorbereitung der Äcker. Und schon gar nicht zu vergessen: So ein Hof ist auch eine Verantwortung für die nächste Generation, die sich genauso davon ernähren, damit leben soll.’ Das habe ich Jesus gesagt.

Und dann hat’s irgendwann ‚Klick’ gemacht: Ob meine erste Wut auf diese Geschichte vielleicht von Jesus beabsichtigt war? War meine Kritik am Zerrbild des ‚reichen Kornbauern’, der Hinweis auf die Selbstverständlichkeit, mit der es in meiner Welt anders zuging, die Reaktion, die Jesus eigentlich hervorrufen wollte? Jesus hat öfter provoziert. Und gerade mit dieser Sorte Gleichnisse wollte Jesus eine Erkenntnis über Gott auch auf verblüffende Weise vermitteln.

Meine Wut über die Geschichte war in Wirklichkeit viel mehr eine Wut über das für mich unverständliche und aller Vernunft und Verantwortung zuwiderlaufende Verhalten des reichen Kornbauern. Und genau das, glaube ich heute, wollte Jesus erreichen. ‚Wie kann man das nur so machen!’ Das ist der Kommentar, den Jesus wohl bei seinen Zuhörern bewirken will. Dann gewinnt seine Botschaft von Gott und vom Reich Gottes eine ganz neue Schärfe und Einsichtigkeit.

Genau das will Jesus mit seinen Parabeln. Der letzte Satz: ‚So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott’ führt dann zu einer selbstverständlichen Entscheidung. ‚Es ist doch klar: Wer nicht mit Gott lebt, der lebt verkehrt, der ist unvernünftig, der verfehlt am Ende sein ganzes Leben.’ Und darum entscheide ich mich für ein Leben Gott, ganz klar!

‚Wer nicht mit Gott lebt, der lebt verkehrt’. Natürlich ist das ein harter Satz. Aber er stimmt. Was daran frohe Botschaft ist?

Ich glaube, es ist die Bestätigung, die in Jesu Erzählung steckt. Jesus entwirft ein Zerrbild der Wirklichkeit. Damit provoziert er zum Widerspruch: Das wissen wir doch eigentlich besser, wir leben doch anders. Ich stelle mir vor, dass er sich diese Reaktion von seinen Zuhörern erhofft. Um wie viel mehr wird sie dann die Botschaft von ‚Reichsein bei Gott’ froh machen: Darauf kommt’s an. Gott entdecken in den Zusammenhängen meines Lebens. In dem, was mir widerfährt und in dem, was ich tue. Das in Einklang bringen mit meiner Lebensart, ganz konkret, indem ich richtig für mich sorge und für andere, die mit mir leben, die ganze Schöpfung. Und auch für die, die nach mir kommen.

Rücksicht, Verantwortung, generatives Denken, nachhaltiges Handeln – das sind Stichworte, Orientierungsmarken, Grenzen, die den Raum des Lebens mit Gott für mich bezeichnen. Das gibt Grund zum Feiern – schon hier und in einer Feier, die bei Gott nicht enden wird, wie Jesus verspricht.

Und wenn die Welt, in der ich lebe, dem Zerrbild entspricht, das Jesus zeichnet? Wenn die Erzeugerpreise für Milch so niedrig sind, dass Bauern in den Ruin getrieben werden? Wenn wir mit der Schöpfung umgehen, als käme nach uns niemand mehr? Dann besteht Handlungsbedarf im Sinne Jesu, denn was Gott will, wissen wir.

Schön, wenn das Erntedankfest als Bestätigung des Lebens gefeiert werden kann, des Lebens mit Gott ohne Ende. So ein Erntedankfest wünsche ich Ihnen und mir, und darum: schienes Erntedankfest öch allen.

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