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Palmsonntag – und sein bester Nebendarsteller: Der Esel
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Palmsonntag – und sein bester Nebendarsteller: Der Esel

Karl Waldeck
Ein Beitrag von Karl Waldeck, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Es gibt Geschichten in der Bibel, die sind ‒ wie man so sagt ‒ „ganz großes Kino“: Man hört oder liest sie und es stellen sich sofort lebendige Bilder ein. Die biblische Geschichte zum heutigen Palmsonntag gehört zu ihnen. In den kommenden sechs Tagen folgen dramatischere, abgründigere Geschichten: Das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern, die Gefangennahme, Karfreitag, der Prozess Jesu, der Tod am Kreuz, die Grablegung ‒ schließlich die glückliche Wende: Ostern, die Auferstehung Jesu. Ein dichter Gedenk- und Festkalender. Doch die Geschichte vom Palmsonntag hat ihren eigenen Reiz. Der Evangelist Matthäus erzählt sie so:

Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.

Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.“

Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf und er setzte sich darauf.

Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und fragte: Wer ist der? Die Menge aber sprach: Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa.

(Mtth 21,1-11) 

Musik: „Tochter Zion“ – Beethoven „Judas Maccabäus“, WoO45, Thema und Variationen I (und II) 

Der Mann auf dem Esel, die jubelnde Menge am Wegrand, die ihre Kleidung und Zweige auf den Weg wirft, – ein bisschen die Stimmung wie bei einer Bergankunft  der Tour der France. Wirklich „großes Kino“! Auch wenn die diesjährige Oscarverleihung schon drei Wochen zurückliegt, möchte ich heute noch einen Oscar verleihen: An keinen Jünger, keinem Jubelnden am Wegrand, sondern an den besten Nebendarsteller: An den Esel! Das ist in der Geschichte selbst angelegt. Denn der Esel hat am Palmsonntag eine im wörtlichen Sinn „tragende Rolle“.

Ein Preisträger ‒ sonst steht der Esel nicht im Rampenlicht. Esel sind zu biblischen Zeiten das normale Reit- und Transporttier. Sie kommen in etlichen Geschichten der Bibel vor – vor allem zur Weihnachtszeit. Der Esel gehört mit seinem Kompagnon, dem Ochsen, zum Inventar im Stall zu Bethlehem, zu Jesuskind, Heiliger Familie, den Hirten und den himmlischen Heerscharen. Die Weihnachtsgeschichten der Evangelien berichten zwar nichts von einem Esel, dafür aber – von wegen Krippe ‒ das Prophetenbuch Jesaja: „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt‘s nicht, und mein Volk versteht’s nicht.“ (Jesaja 1,3). Nur wenig später dient der Esel der Heiligen Familie als Lasttier auf der Flucht vor der tödlichen Nachstellung des König Herodes nach Ägypten.

Bisweilen tauchen Esel in der Bibel versteckt auf – so in der Geschichte vom „Barmherzigen Samariter“. Der Samariter leistet erste Hilfe am Opfer eines Raubüberfalls: Er „hob ihn auf sein Tier“, heißt es, um ihm in eine Herberge zu bringen: „Das Tier“ ‒ ein Esel wird‘s gewesen sein.

Musik: Beethoven (s.o.) Variationen 4 und 5  

Palmsonntag. Der Einzug Jesu in Jerusalem ist ein Event. Jesus ist an das Ziel seines Weges gekommen. „Sie haben das Ziel erreicht“. Am Palmsonntag meint das mehr als die Ansage aus dem Navigationsgerät. Am Ziel in Jerusalem wird sich zeigen, wer Jesus ist. Großes steht bevor: Das ahnen alle, die Jesus zujubeln. Und zugleich zeigt sich, warum der Esel der beste Nebendarsteller ist.  

 

Nicht mehr zu Fuß, sondern auf einem Esel. Jesus wechselt, bevor er nach Jerusalem kommt, sein Fortbewegungsmittel. Vorher war Jesus mit seinen Jüngern zu Fuß unterwegs; am Palmsonntag sitzt er auf dem Rücken eines Esels. Diesen Wechsel hat Jesus sorgfältig organisiert und inszeniert:

„Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.“

Jesus schickt zwei Jünger los, um eine Eselin und ein Eselfohlen zu holen. Er tut das ganz souverän: Jesus weiß, dass im Dorf die Esel sind, und es ist ganz klar, dass der Besitzer ihm beide Tiere überlässt. „Der Herr bedarf ihrer.“ Da gibt es keinen Widerspruch. Es ist das einzige Mal, dass Jesus „etwas bedarf“. Sonst ist er es immer, der gibt. Die Eselaktion ist eine Symbolhandlung – mit biblischem Hintergrund:

Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.“

Eine Prophezeiung des Propheten Sacharja hat sich erfüllt. Der lebte und schrieb in schwierigen Zeiten. Nach Zerstörung Jerusalems, Verschleppung nach Babylon hatte das Volk Israel wieder in der alten Heimat Fuß fassen können. Doch von geordneten Verhältnissen keine Spur: Es gibt Probleme ‒ soziale Probleme, neue militärische Bedrohung. In dieser Situation tritt Sacharja auf – mit der guten Nachricht. „Du Tochter Zion, freue dich sehr, und du Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir!“ Auf diesen König, hat Israel gewartet: Lange, bis jetzt ‒ bis Jesus kommt, sagen die Evangelien. Was zeichnet diesen König aus? 

Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. Denn ich will die Wagen wegtun aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde. 

Musik: W.A. Mozart, Der Messias, Erwach, Zion  

Er kommt auf einem Esel: Der gerechter König, der hilft, Waffen zerstört und Frieden bringt. Das ist sein Erkennungszeichen, nicht Krone und Schwert. Er unterscheidet sich von den Herrschern zur Zeit Sacharjas und Jesu, auch von vielen unserer Tage. Ein König der Hoffnung und zugleich ein Anti-König. Nicht ein bewaffneter Geleitzug begleitet ihn, Jesus kommt „sanftmütig“ zu seinem Volk. Er kommt nicht hoch zu Ross, sondern auf einem Esel. Das ist sein Erkennungszeichen und sein Programm: Der Esel steht für die Botschaft: Jesus ist einer aus dem Volk; er ist vor allem einer für sein Volk – er steht für eine gute Botschaft, die allen Menschen gilt. Die Menge jubelt Jesus zu, sie sieht im Eselreiter den verheißenen König: „Hosianna dem Sohn Davids“ – Sie feiern ihn als Nachkommen des bedeutendsten Königs Israels. Sie tun dies mit Worten, die heute noch im Abendmahlgottesdienst gesungen werden: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe“. 

„Du, Tochter Zion, freue dich!“ Palmsonntag ist so ein Stück Advent, die Vorfreude auf eine große Ankunft und ein großes Fest: Deshalb passt sowohl zu Palmsonntag wie in den Advent das Lied „Tochter Zion!“  

Musik: Tochter Zion, Strophe 1 und 2,

Jesus wird bejubelt. Doch nur kurze Zeit. Er ist ein Anti-König. Nur wenige Tage später ruft eine Menge „Kreuzige ihn“. Aus der Begeisterung ist blanker Hass geworden. Was ist geschehen? Die Stimmung der Öffentlichkeit ist wankelmütig. Um es mit der Sprache der Social media zu sagen: Vor kurzem noch unglaublich viele Likes, dann ein vernichtender, tödlicher Shitstorm: Daumen hoch und Daumen runter liegen ganz dicht beieinander.

Palmsonntag ist ein Fest der religiösen und der politischen Hoffnung. Zwei Modelle von Religion und Herrschaft stehen sich hier gegenüber: Das eine ‒ Religion, die Macht beansprucht über die Welt und die Menschen; das andere: Jesus, der Eselreiter, verzichtet auf vordergründige Zeichen der Macht. Ja, so werden es die nächsten Tage der Woche zeigen: Er setzt sich – ohne Widerstand – der Macht der Herrschenden aus Staat und Religion aus – bis zum Tod. 

Nicht herrschen, leiden. Das Kreuz, des leidende Jesus ist zur Ikone der Christenheit geworden. Ein unbequemes Bild war und bleibt es: Für die ersten Hörer der christlichen Botschaft war das Kreuz ein Ärgernis und eine Torheit. Ist es heute anders? Man kann das Bild des Leidens schnell wegdrücken, verdrängen. Doch das hat einen Preis: Wer den leidenden Christus nicht ernst nimmt, der nimmt auch die Leidenden dieser Welt nicht ernst.

Jesus leidet, Menschen leiden  – und mit ihr die ganze Schöpfung, alle Kreaturen. Der Apostel Paulus hat dies in einem kühnen Gedanken zusammengefasst. „Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet“. Angst und Seufzen – das verbindet Menschen, Pflanzen und Tiere. Die leidende Kreatur ‒ Bilder kommen vor Augen: Der Raubbau an der Natur: Regenwald, der abgeholzt wird, industrielle Formen der Tierhaltung. Die Kreatur leidet und Menschen, die vor dem Krieg fliehen, die unter elenden Bedingungen arbeiten müssen, Kindersoldaten. Mensch und Kreatur leiden. Hier sind Esel und Eselreiter miteinander verbunden.

Musik Beethoven, Variation IX, Adagio

Der Esel als bester Nebendarsteller. Der englische Dichter Gilbert Keith Chesterton, der Schöpfer von Pater Brown, dem ersten Krimi-Pfarrer, hat versucht, Palmsonntag aus der Perspektive des Esels zu betrachten. Er war ein unkonventioneller Christ. In seinem Gedicht „The Donkee“ erzählt der Esel von sich selber: Von der Unmöglichkeit, ein Esel zu sein, von den verqueren Umständen seiner Geburt, von dem, was an ihm hässlich oder ungestalt ist: Stimme, Ohren. Von seinem Gemüt: bockig, störrisch ‒ und von seinem Leben, von Leidenserfahrung: So weit, so schlimm! Eine schreckliche Bilanz – gäbe es da nicht ein Geheimnis, das der Esel für sich behält und ihm Halt und Würde, ja so etwas wie Stolz gibt. Es ist das Geheimnis seiner großen Stunde, seines Auftritts – am Palmsonntag. Eine Stunde, wild und süß, so hat der Esel sie erlebt: Das Rufen der Menschen in den Ohren, die Palmzweige, über die er läuft, zu seinen Füßen, pardon ‒ seinen Hufen. Leiden und – dennoch Würde.

Gilbert Keith Chesterton

Der Esel  („The Donkee“)

Der Fisch – er flog, der Wald – er ging,
Die Feige wuchs am Dorn.
Der Mond – er schien so blutigrot:
Da wurde ich gebor‘n.

Mit Monsterkopf und miesem Schrei
Und Ohren Schwingen gleich:
Die wandelnde Teufels-Parodie
In dem Vierfüßer-Reich.  

Zerlumpter Strauchdieb auf der Erd‘,
Bockig seit Alters mein Wille.
Ja, gebt’s mir, schlagt und verlacht mich - ich bin stumm:
Mein Geheimnis behalt ich, bin stille. 

Ihr Narren! Denn auch meine Stunde kam, 
O, ferne Stunde – wild und süß:
In meinen Ohren klangen Rufe,
Palmzweige warfen sie mir vor die Hufe!  

Leiden und Triumph. Davon berichtet Chestertons Gedicht. Vom Triumph und Leiden berichtet die Woche, die am heutigen Palmsonntag beginnt: Am Beginn der triumphale Einzug des Eselreiters Jesus in Jerusalem. Dunkle Tage folgen: Karfreitag, in denen Leiden und Tod das letzte Wort zu haben scheinen. Bis zum Ostermorgen ‒ dessen Licht der Menschheit und allen Kreaturen verheißt: Gott hat Jesus auferweckt. Die Liebe und das Leben siegen. Es ist tröstlich, dass am Ende des Lebens nicht das Leiden, sondern das Leben triumphiert: Dank des lange erwarteten Königs, der auf einem Esel kommt, behält auch für uns der Tod nicht das letzte Wort.    

Mendelssohn: Sommernachtstraum – Rüpeltanz

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