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Mal mit, mal ohne Tränen
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Mal mit, mal ohne Tränen

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Frühstück ist schlimm. Da fühlt er, dass er allein ist. Herrmann ist Anfang siebzig und Witwer. Ganz plötzlich kam das, vor drei Jahren. Fünf Tage später die Beerdigung. Und dann dieses Loch. Daran gewöhnt man sich nicht. Sicher, es gibt Stunden, in denen man mal vergisst. Wenn er alleine einkauft, wie früher immer. Oder seine Freunde trifft im Café. Dann reden sie miteinander und sind zufrieden. Oder tun jedenfalls so. Abends, beim Fernsehen, merkt Herrmann es auch nicht so. Der Bildschirm lenkt ab von der Welt. Aber Frühstück. Das ist schlimm. Und Friedhof.
Da steht er dann. Auf dem kalten Friedhof. An ihrem Grab. Seltsam ist das. Und immer wieder fremd. Manchmal kriegt er Gänsehaut. Weil alles so unwirklich ist. Er spricht dann mit ihr. Niemand kennt ihn so wie sie. Einundvierzig Ehejahre. Kinder haben sie keine, leider. Also spricht Herrmann mit ihr, die er vermisst. Er weiß, dass sie dort unten im Grab liegt. Er weiß aber auch, dass sie noch woanders ist. Und ihm  zuhört. Wie auch immer sie das macht. Vorstellen kann man sich vieles, denkt Herrmann immer. Und da steht er dann, der Witwer, der nie einer sein wollte. Und murmelt dies und das vor sich hin. Neuigkeiten aus dem Haus, von den Freunden. Und was sich so tut.  Mal mit, mal ohne Tränen.
Wie beim Frühstück. Da sieht er nicht nur, dass er alleine ist. Da fühlt er es auch. Kurz nach dem Aufstehen war immer die Freude aufs Frühstück. Zu zweit. Die ersten Worte des Tages fielen. Die Stunde war oft schon wie das Schönste vom Tag. Radio, Nachrichten. Alles war noch so frisch. Ungezwungen. Das ist vorbei. Jetzt redet er mit sich, der Herrmann. Was er auch nie wollte. Tut ein bisschen, als sei sie neben ihm. Viel redet er nicht. Nur so viel, dass er besser in den Tag kommt. Dass er sich gleich anzieht. Was er dann anzieht. Was er heute so vorhat. Wen er im Flur getroffen hat und wer ihn noch kennt. Dann Abspülen der Tasse, des Tellers. Mal mit, mal ohne Tränen. Und dass er zu ihr will, bald. Das sagt er sich laut. Nicht gemurmelt. Beinahe trotzig. Dass ich sie wiedersehe, sagt er, das erwarte ich von dir, Gott.

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