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Ich sehe was, was du nicht siehst
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Ich sehe was, was du nicht siehst

Claudia Sattler
Ein Beitrag von Claudia Sattler, Evangelische Pfarrerin, Herborn
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Mit der Familie im Auto spielen wir oft das Spiel: „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Ich bin dran beim Raten und soll finden, was schwarz ist. Der Spiegel ist es nicht, das Armaturenbrett und die Autositze sind es auch nicht. Erst ganz zum Schluss komme ich darauf: Eine kleine schwarze Schrift auf meinem Pullover ist es.

Ich denke mir: Ja, so ist es oft. Das, was mir selbst ganz nah ist, sehe ich oft zuletzt.

Jesus hat mal gesagt: „Wie kommt es, dass du den kleinen Splitter im Auge deines Gegenübers siehst, aber das große Brett vor deinem Kopf siehst du nicht?“

Tatsächlich rege ich mich immer wieder gerne über die Macken der anderen auf und stelle mir dann heimlich vor, wie schön es wäre, wenn alle so wären wie ich. Aber zum Glück falle ich damit immer gleich wieder auf die Nase, wenn ich merke: Verschont von Macken bin ich leider auch nicht.

„Ich sehe was, was du nicht siehst“. Mein Eindruck ist: Das ist nicht nur bei den Macken so. Auch die guten Seiten sehen viele bei sich zuletzt. Und das ist kein Wunder, denn es gehört zum guten Ton, wenn man erkennt, wo man sich noch verbessern kann – wo man vielleicht ein Brett vor dem Kopf hat. Eigenlob hingegen stinkt. Und so kommt es, dass Christine jedes Kilo zu viel an sich genau bemerkt. Wie sie alle um sich herum bezaubert, sieht sie aber nicht. Petra sieht ganz genau, was ihr auf der Arbeit heute alles nicht gelungen ist. Aber dass sie wie jeden Tag mit vollem Einsatz dabei gewesen ist und wieder mal ganz viel geschafft hat, sieht sie nicht. Ich sehe was, was du nicht siehst.“ Vielleicht sollten wir uns das gegenseitig öfter mal sagen.

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