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Den Glauben weitergeben
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Den Glauben weitergeben

Prof. Dr. Gerhard Stanke
Ein Beitrag von Prof. Dr. Gerhard Stanke, Domkapitular
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"Der Kirche in Deutschland fehlt etwas" schreibt Bischof Wanke, damals Bischof von Erfurt, an die Gemeinden seines Bistums ("Zeit der Aussaat", Die deutschen Bischöfe: Nr. 68, S. 35) Was fehlt der Kirche? Nicht das Geld, schreibt er – ich füge hinzu, auch wenn es weniger wird. Auch nicht die Gläubigen – obwohl sie leider auch weniger werden. Was fehlt ihr? Bischof Wanke sagt: "Unserer katholischen Kirche in Deutschland fehlt die Überzeugung, neue Christen gewinnen zu können." Heißt das: Christen trauen es ihrer Botschaft nicht zu, dass sie auch heute noch Menschen anspricht? Die alte Botschaft des Evangeliums hat durch die Jahrhunderte Menschen Hoffnung geschenkt – auch angesichts großer Katastrophen – und Menschen bewogen, ihr Leben zu ändern. Taugt die Botschaft nicht mehr für die Menschen unserer Zeit? Oder ist die Kirche vielleicht zu sehr darum besorgt, die, die zu ihr gehören, bei der Stange zu halten? Und ist sie damit voll ausgelastet? Aber dennoch verlassen viele die Kirche.
Bischof Wanke spricht nicht von neuen pastoralen Strategien, um Menschen anzusprechen. Oder von der Nutzung der neuen Medien. Oder von der kritischen Überprüfung unserer kirchlichen Sprache, ob sie noch geeignet ist, die Menschen unserer Zeit zu erreichen. Das alles und vieles andere ist sicher notwendig, um Menschen neu für die Botschaft der Kirche zu begeistern. Aber Bischof Wanke setzt tiefer an. Es geht ihm um die Überzeugung, wie er schreibt, um eine innere Einstellung und Haltung. Dazu noch zwei Sätze aus seinem Brief: "Ich habe die Vision einer Kirche in Deutschland, die sich darauf einstellt, wieder neue Christen willkommen zu heißen."(S. 36) Und: "Dass eine Ortskirche nicht wächst, mag auszuhalten sein, dass sie aber nicht wachsen will, ist schlicht unakzeptabel." (S. 42)
Bischof Wanke schreibt von der Überzeugung, neue Christen gewinnen zu können – darin liegt für mich zunächst die Frage nach der Botschaft Jesu für mich persönlich. Ist sie mir so wichtig, dass ich möchte, dass auch andere sie entdecken? Welche Erfahrungen habe ich mit dieser Botschaft gemacht? Was würde mir in meinem Leben fehlen, hätte ich diese Botschaft nicht gehört?

Und eine weitere Frage: Was kann ich tun, um Menschen mit dieser Botschaft in Kontakt zu bringen und für den Glauben zu gewinnen?

Musik: CD Josef G. Rheinberger – Missae et Cantiones - Ich bin des Herrn - 3:51 Min.

Was bedeutet mir die Botschaft Jesu? Als Anregung für die Antwort auf die erste Frage möchte ich auf das Evangelium dieses Sonntags zurückgreifen. Jesus hat seine Botschaft oft in Form von Gleichnissen verkündet. Das Gleichnis dieses Sonntags ist provozierend. Jesus spricht darin von einem Gutsbesitzer. Er hat einen Weinberg und sucht jeden Tag Leute, die mitarbeiten. So geht er auf den Marktplatz und hält Ausschau nach Arbeitern. Der Gutsbesitzer trifft einige, die darauf warten, dass sie angeworben werden, und spricht sie an. Er vereinbart einen Tageslohn von einem Denar. Ein paar Stunden später geht er wieder auf den Marktplatz und gewinnt wieder einige Mitarbeiter. Das macht er noch dreimal.
Am Abend beauftragt er seinen Verwalter damit, den Arbeitern den Lohn auszuzahlen. Der beginnt bei denen, die zuletzt eingestellt wurden, und gibt jedem einen Denar. Da hoffen die, die den ganzen Tag gearbeitet haben, dass sie mehr bekommen. Aber auch sie bekommen nur einen Denar. Da empören sie sich und sagen: "Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet und du hast sie uns gleichgestellt. Wir aber haben die Last des Tages und die Hitze ertragen." (Mt. 20,12) Der Gutsbesitzer antwortet einem von ihnen: "Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? Nimm dein Geld und geh! Ich will dem Letzten ebenso so viel geben wie dir. Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder ist dein Auge böse, weil ich gut bin?" (20,13 -15)
Ich muss gestehen – auch mir scheint das Verhalten des Gutsherren eigenwillig und ungerecht. Müsste nicht der Lohn der Leistung entsprechen? Wer mehr gearbeitet hat, der soll auch mehr haben. Das Gleichnis Jesus weckt Widerspruch. Es kann jedenfalls nicht als Maßstab für Tarifverhandlungen gelten.
Zum Verständnis könnte man darauf hinweisen: Die Situation für die, die den ganzen Tag warten mussten, bis jemand sie eingestellt hat, war auch nicht leicht. Sie lebten als Tagelöhner mit ihren Familien von dem Lohn eines jeden Tages. Das Warten darauf, ob man sie braucht, war wahrscheinlich sehr belastend. Ähnlich wie das Arbeiten für die, die früh angeworben wurden. Diese konnten jedenfalls das Gefühl haben: Am Abend habe ich einen Denar verdient, und so ist wieder für einen Tag gesorgt.
Jesus erzählt diese Geschichte als Gleichnis. Und zwar als Gleichnis für das Reich Gottes. Das heißt, es geht um das Handeln Gottes. Jesus will dadurch etwas über Gott sagen. Gott macht sich wie der Weinbergbesitzer immer wieder auf, um Menschen anzuwerben. Darin ist er geradezu unermüdlich. Aber was ist mit dem gleichen Lohn für alle, egal ob sie einen Tag oder nur eine Stunde gearbeitet haben? Der Lohn ist die Gemeinschaft mit Gott. Diese will er jedem geben. Mehr kann er auch nicht geben. In der Gemeinschaft mit den Menschen gibt er sich selbst. Und die, die schon früh seine Einladung gehört und angenommen haben, sollen darüber froh und dafür dankbar sein. Sie haben keinen Grund, die zu beneiden, die später den Ruf gehört haben und jetzt auch die Gemeinschaft mit Gott erleben dürfen. Gott ist wie der Gutsbesitzer aus dem Gleichnis. Er ist unterwegs, um die Menschen einzuladen in sein Reich. Jesus sagt: "Gott sucht dich. Er lädt dich ein. Er braucht dich. Du bist ihm wichtig."
So ist Gott. Er ist einladend. Er lädt schließlich ein zu einem Fest. Jesus hat vom Reich Gottes oft im Bild von einem Festmahl gesprochen. Und er rührt damit an eine tiefe Sehnsucht des Menschen: eingeladen zu sein, willkommen zu sein, mitfeiern zu dürfen beim Fest des Lebens. Ganz persönlich eingeladen. Nicht unter ferner liefen. Diese Botschaft ist die Mitte des Evangeliums. Das gilt es immer wieder neu zu entdecken. Und wer sie als kostbaren Schatz entdeckt hat, sollte davon sprechen, damit auch andere diese Entdeckung machen.

Musik: CD Geistliche Chorwerke – Volume II - God be in my head - 2:19 Min.

Der Text von Bischof Wanke hat bei mir noch eine weitere Frage ausgelöst: Wie ist es möglich, neue Menschen für das Christentum zu gewinnen? Sehen Sie darin für sich eine Aufgabe? Oder befürchten Sie, aufdringlich zu sein oder belächelt oder abgewiesen zu werden? Viele gläubige Eltern wünschen sich sicher, dass ihre Kinder auch zum Glauben an Gott finden. Sie beten für sie. Sie sprechen von Gott. Sie versuchen, ihr Leben am Evangelium auszurichten. Vielen Eltern gelingt es die frohe Botschaft des Evangeliums an ihre Kinder weiterzugeben. Andere erfahren, dass ihre Kinder andere Wege gehen. Es ist für gläubige Eltern schmerzlich zu sehen, dass ihre Kinder ihrer Glaubensgemeinschaft den Rücken kehren – man kann den Glauben aber nicht anerziehen. Er bleibt eine freie Entscheidung jedes Menschen.
Andere Menschen für den Glauben gewinnen – was kann ich dafür tun? Zwei Worte, die ich vor längerer Zeit gelesen habe, haben sich mir in diesem Zusammenhang eingeprägt. Eines stammt von Mutter Teresa, der bekannten Ordensfrau von Kalkutta. Sie sagt: "Ich dachte zunächst, ich muss die Menschen bekehren. Dann habe ich gemerkt: Ich muss die Menschen lieben, und die Liebe bekehrt, wen sie will." Das andere Wort stammt von einer religiösen Gemeinschaft: "Rede nicht von Gott, wenn du nicht gefragt wirst. Aber lebe so, dass man dich fragt."
Die beiden Zitate zeigen mir: Es kommt primär nicht auf das Reden an – sondern auf das Handeln. Dazu passt auch das Leitwort des heutigen Caritassonntags: Sei gut, Mensch! Das kann Menschen vielleicht nachdenklich machen und sie fragen lassen: Woher hat er oder sie die Kraft, Gutes zu tun, auch wenn das nicht immer anerkannt wird. Oder woher nimmt er die Kraft, zu verzeihen, obwohl er tief verletzt wurde. Oder was gibt ihr die Kraft, die Belastung des Lebens – Enttäuschungen, Krankheiten, Scheitern auszuhalten, ohne zu verzweifeln oder zu resignieren?

Musik: CD Creator Spiritus (Th. Gabriel) - Psalm 23 - 3:38Min.

Ich denke an eine Frau, die ich wegen ihrer Haltung bewundere. Sie hat in den letzten Monaten Schicksalsschläge erfahren. Den überraschenden Tod ihrer Tochter, einer Familienmutter mit jungen Kindern. Dann zweimal die Diagnose Krebs in der Familie ihres Sohnes, der selbst schon einige schwere Operationen hinter sich hat. Aber diese Frau geht tapfer ihren Weg weiter und ist für ihre Enkelkinder da. Sie fragt schon: Herr Gott, wo bist du? Hast du mich vergessen? Aber sie findet doch Kraft im Glauben und im Gebet. Vielleicht entdecken die Enkelkinder an ihrer Oma auch die Kraft, die der Glaube schenkt.
Ein weiterer Mensch, den ich für seinen gefestigten Glauben bewundere, ist Dietrich Bonhoeffer. Bonhoeffer war evangelischer Theologe und führend in der Bekennenden Kirche tätig, die die Naziideologie strikt ablehnte. Für sie stand diese Ideologie im krassen Gegensatz zum Evangelium. Dietrich Bonhoeffer wurde am 05. April 1943 verhaftet und zwei Jahre später, wenige Wochen vor Kriegsende, hingerichtet. In dieser Zeit war Bonhoeffer in verschiedenen Gefängnissen und KZs. Diejenigen, die ihn in der Gefangenschaft kennengelernt haben, haben über ihn gesagt: Er hat sie tief beeindruckt durch seine ruhige, innerlich gesammelte Haltung. Und durch seine große innere Freiheit auch denen gegenüber, die ihn misshandelt haben. Aus einem Gebet, das er vor seinem letzten Weihnachtsfest geschrieben hat, spricht tiefes Vertrauen. Es beginnt mit den Worten: "Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag." Ein Text, der gerne gebetet und gesungen wird und den Menschen Kraft und Trost schenkt.
Die Geschichte der vom Schicksal gebeutelten Frau und die Biografie von Dietrich Bonhoeffer zeigen: Entscheidend ist das Lebenszeugnis. Aber es ist auch wichtig, dass wir sagen können, was wir glauben und warum wir glauben. Dabei kommt es nicht auf eindrucksvolle Formulierungen an, sondern auf ein persönliches Zeugnis – als Antwort auf die Frage: Was bedeutet mir der Glaube an Gott? Welche Erfahrungen habe ich mit dem Glauben gemacht? In welchen Situationen hat er mir Kraft gegeben? Ich denke dabei an eine Erfahrung vor einigen Jahren. Ich stand vor einer wichtigen Untersuchung mit ungewissem Ausgang. Da stieß ich auf folgendes Wort aus dem Psalm 37 des Alten Testamentes. "Befiehl dem Herrn deinen Weg, vertrau ihm – er wird es fügen." (Ps 37,5) Dieses Wort hat mir in dieser schwierigen Situation innere Ruhe gegeben. Die Botschaft des Evangeliums schenkt Menschen die Kraft, im Vertrauen jeweils den nächsten Schritt zu wagen. Die Botschaft Jesus bewahrt nicht vor den Dunkelheiten des Lebens. Sie beantwortet nicht alle Fragen, die uns bedrängen. Aber sie gibt die Zusage, dass Gott mit uns ist.

Zum Schluss will ich noch einmal Bischof Wanke zitieren: "Wer mit Kirche zum ersten Mal in Berührung kommt, sollte damit rechnen dürfen, willkommen zu sein. Das ‘Bodenpersonal Gottes‘ darf nicht kleinlich sein, wenn Gott selbst großzügig ist. Kirche ist zwar nicht für alles, aber doch ‘für alle‘ da." (S. 40) Ich wünsche Ihnen, dass Sie in der Kirche immer wieder erfahren, dass Sie willkommen sind.

Musik: CD  Geistliche Chorwerke - Laudate Dominum - 2:06 Min.

Musikauswahl: Regionalkantor Armin Press, Hanau

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