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Ein Bischof als Sozialpolitiker
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Ein Bischof als Sozialpolitiker

Martina Patenge
Ein Beitrag von Martina Patenge, Katholische Referentin für Glaubensvertiefung und Spiritualität, Kardinal-Volk-Haus Bingen

Müde und vornübergebeugt – so sieht sie aus, die Statue des Bischof Ketteler in Mainz. Ein Bild des Jammers!? Dabei hat Emanuel von Ketteler Geschichte geschrieben – und heute ist sein Gedenktag. Seine Ideen zur sozialen Frage sind in jedem modernen Rechtsstaat umgesetzt. Als er 1877 starb, war das aber noch nicht abzusehen. Da schien er wirklich gescheitert.

Angefangen hatte alles ganz anders. Denn dieser Emanuel von Ketteler war ein starker Charakter. Die erste glänzend begonnene Karriere als Jurist hatte er aus Gewissensgründen aufgegeben. Er wollte keinem Staat dienen, der das Gewissen eines Menschen missachtet. Nach längerem Ringen wurde er Priester und Dorfpfarrer.
Das Leben auf dem Dorf ist eine ganz andere Welt als die, in der er bisher gelebt hat. Den Leuten auf dem Land geht es damals oft sehr schlecht, finanziell, gesundheitlich, arbeitsmäßig. Das erschüttert ihn. Das kann so nicht bleiben. Also gründet er verschiedene Arten von sozialer Fürsorge: Organisiert Gesundheitsfürsorge, Bildung für Frauen, Mittagessen für Schulkinder mit einem längeren Heimweg und mehr. Er hat viele Ideen, um Not zu lindern. Wenn etwas getan werden muss, wird es organisiert. Wenn etwas gesagt werden muss, nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er wird immer mehr zum Fürsprecher derer, die in Not geraten sind. Die Industrialisierung hatte zum Teil ja verheerende Folgen für die Arbeiter. Die „soziale Frage“ wird sein Ding. Und deshalb wird Emanuel von Ketteler doch noch Politiker. Da hat er mehr Einfluss. Und kurz darauf wird er auch noch Bischof von Mainz. Er hätte durchaus ein vornehmes Leben führen können. Stattdessen entwickelt er eine Strategie: Erst die Not lindern – und dann die Verhältnisse! Die Armen brauchen Essen, Krankenpflege, bessere Bildung. Aber damit die Armen nicht arm bleiben, müssen die Verhältnisse sich ändern. Die Verhältnisse sind zutiefst ungerecht – die Besitzenden haben alles und bestimmen alles, die Arbeiter haben keine Rechte und besitzen nichts. Bischof Ketteler ist sich bewusst: Die Verhältnisse werden sich nicht von selbst ändern, denn der Mensch hält doch eher an seinem Besitz und den Privilegien fest. Änderungen muss deshalb die Politik erzwingen. Sie muss passende Gesetze erlassen, den Fabrikbesitzern einiges abfordern. Die Arbeiter brauchen mehr Schutz und mehr Rechte. Bischof von Ketteler plädiert für Streikrecht, Krankenkassen und Gewerkschaften. Er entwickelt viele Ideen, die damals unerhört sind. Heute finden wir sie selbstverständlich. „Eigentum verpflichtet“ ist sicherlich seine wichtigste Idee.

Tatsächlich haben sich die sozialen Verhältnisse langsam geändert. Solche Entwicklungen gehen selten schnell. Deshalb hat Bischof von Ketteler nicht mehr miterlebt, wie sich allmählich doch mehr soziale Gerechtigkeit entwickelt. Er erlebt persönlich noch viel Gegenwind! Seine Ideen scheinen gescheitert. Heute wissen wir es besser: Bischof Ketteler ist nicht gescheitert, sondern hat den Politikern seiner Zeit die soziale Frage mit Nachdruck auf den Tisch gelegt. Er war einer von denen, die den Weg bereitet haben für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat, den wir heute haben. Und auch heute brauchen wir in unseren Kirchen Männer und Frauen, die sich um das Wohl der Armen kümmern und um alle, die zu kurz kommen. Selbst in einem Sozial- und Rechtsstaat wie Deutschland.

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