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Was ist ein Jünger?
Bild: jhon dal_pixabay

Was ist ein Jünger?

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
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Die Menschen, die Jesus am Anfang gefolgt sind, werden in der Bibel oft „Jünger“ genannt. Martin Luther hat das griechische Wort mathêtês im Deutschen mit „Jünger“ übersetzt. Luther wusste an sich, dass das griechische Wort eigentlich Schüler bedeutet. Manchmal spricht er auch von Jesu „Schülern und Jüngern“. Ein Jünger war zu Luthers Zeit etwa das, was heute ein Lehrling ist oder ein Auszubildender in einem handwerklichen Beruf. Heute kann man den Ausdruck „Jünger“ leicht falsch verstehen. Bei Jüngern denkt man nicht an Schülerinnen oder Schüler, die noch etwas lernen, sondern an Menschen, die schon alles wissen, zum Beispiel, wenn sie es als Jünger von einem charismatischen Idol vorgesagt bekommen haben.

Meister und Lehrlinge

Martin Luther hat die Beziehung zwischen Jesus und den Menschen, die ihm gefolgt sind, in die Welt des Handwerks übertragen. Jesus hat er deshalb manchmal auch „Meister“ genannt. Schulen gab es zu Luthers Zeit nur als Klosterschulen oder Domschulen und in hohen Adelshäusern. Für die breite Bevölkerung gab es Schulen so gut wie nicht. Das Handwerk war dagegen der Bereich, wo in der Umwelt Luthers auch im breiten Volk etwas gelernt wurde.

Jüdische Kinder gingen schon im 1. Jahrhundert zur Schule

In der jüdischen Welt, in der Jesus aufgewachsen ist und in der die ersten christlichen Gemeinden entstanden sind, war das anders. Nach dem Jerusalemer Talmud gab es schon im ersten Jahrhundert die Anordnung, dass die Kinder zur Schule gehen müssen. Und nach einer anderen Quelle hat ein Hohepriester im 1. Jahrhundert verordnet: Bezirk um Bezirk und Stadt um Stadt, überall, soll man Lehrer für die Kinder einsetzen, und im Alter von sechs und sieben Jahren lasse man sie zu ihnen kommen. Der Unterricht fand gewöhnlich in der Synagoge statt. Auch Jesus hat in Synagogen gelehrt.

Gemeinde als Lerngemeinschaft

In der Bibel war die religiöse Gemeinschaft eine Lerngemeinschaft. Davon ist auch im Schema Jisrael die Rede, in dem Gebet, das jüdische Frauen und Männer dreimal am Tag sprechen. Da heißt es: „Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen“ (Dtn 6,6), das heißt, die Menschen sollen sie auswendig lernen. Und weiter lautet das Gebet: „Du sollst sie deinen Kindern wiederholen. Du sollst sie sprechen, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst“ (Dtn 6,7). Mit den Worten waren nicht nur die Worte des Gebets selber gemeint, sondern die Tora, die ersten fünf Bücher der Bibel, und andere Schriften, Psalmen und Weisheitsworte.

Offen bleiben und Neues lernen

Nicht ein Wissender zu sein, sondern ein Lernender zu bleiben, darauf kam es Jesus an. Gemeinsames Lernen hat auch bei uns heute einen hohen Stellenwert. Trotzdem war es von der Pandemie mit am schwersten betroffen. Manchmal ist die öffentliche Wertschätzung nur ein Lippenbekenntnis. Ich finde, Lernen könnte wieder mehr Bedeutung bekommen. Lernen, interessiert bleiben, die eigene Sicht weiten durch neue Einsichten ist wichtig, in jedem Alter. Ich bin gespannt, was ich heute lernen kann.

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