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Über die Kunst, Hilfe anzunehmen
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Über die Kunst, Hilfe anzunehmen

Daniel Lenski
Ein Beitrag von Daniel Lenski, Evangelischer Pfarrer, Königstein-Falkenstein
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Bei uns im Ort haben wir eine MS-Gruppe. Betroffene von Multiple Sklerose und ihre Angehörige treffen sich mehrmals im Jahr in unserem Bürgerhaus. Sie sprechen miteinander, essen zu Mittag und trinken Kaffee. Organisiert wird dieses Zusammensein von einigen Ehrenamtlichen.

Ein MS-Stammtisch im Bürgerhaus

Bei diesem MS-Stammtisch habe ich auch Familie Schmitz kennengelernt. Herr Schmitz ist bereits seit vielen Jahren an Multipler Sklerose erkrankt. Er sitzt im Rollstuhl, lacht gerne und freut sich über das Gespräch mit den anderen. Frau Schmitz pflegt ihren Mann zu Hause und ist auch dankbar dafür, dass sie sich hier mit anderen pflegenden Angehörigen austauschen kann.

Häusliche Pflege kann überfordern

Manchmal wird Frau Schmitz allerdings auch alles zu viel. Als ich bei einem Treffen mit ihr ins Gespräch komme, sagt sie, wie sehr sie die vielen Aufgaben belasten: Sie putzt, sie kocht, sie pflegt. Dazu wird sie selbst auch älter und hat ihre eigenen gesundheitlichen Probleme. Sie wünscht sich eine Entlastung. Ich frage sie, ob sie nicht einmal an eine Haushaltshilfe oder an einen Pflegedienst gedacht hat. Frau Schmitz winkt ab. So oft habe sie das schon mit ihrem Mann besprochen, doch der möchte nicht.

Hilfe von Fremden annehmen, fällt schwer

Kurz darauf frage ich Herrn Schmitz, was denn seine Bedenken bei diesem Thema sind. Man merkt, wie schwer er sich tut, Hilfe von jemand Fremdem anzunehmen. Zu seiner Frau hat er großes Vertrauen. Von ihr lässt er sich gerne helfen. Aber eine fremde Person in den eigenen vier Wänden? Bei dem Gedanken ist ihm nicht wohl. Er weiß nicht, ob er sich an neue Personen und neue Abläufe gewöhnen kann und vor allem gewöhnen möchte.

Meist sträuben sich Männer gegen Hilfe von außen

Bedenken wie die von Herrn Schmitz begegnen mir häufig, wenn ich mit älteren Menschen spreche. Bezeichnenderweise sind es oft die Männer, die sich gegen Hilfe von außen sträuben. Vielleicht, weil eine Pflege- oder Haushaltshilfe ja auch ein Zeichen von Hilfsbedürftigkeit ist. Weil viele Männer gerne selbst die Zügel in der Hand haben. Vielleicht auch, weil sich viele Männer dieser Generation gar nicht bewusst sind, wie viel Arbeit das Führen eines Haushalts wirklich bedeutet.

„Einer trage des andern Last"

In der Bibel steht der Satz: „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Galater 6,2). Das sagt der Apostel Paulus zu den damaligen Christen. Mich beeindruckt, wie viele Ehepaare sich diese Mahnung auch Jahrzehnte nach ihrer Hochzeit zu Herzen nehmen. Sie tragen die körperliche, manchmal auch die seelische Last ihres Partners mit. Sie ändern ihr eigenes Leben, geben den Beruf auf, tun alles, damit es dem anderen gut geht. Die Last des anderen zu tragen, bedeutet immer: Die Not des anderen wahrzunehmen. Das gilt auch für die Not der pflegenden Partnerin. Eine Last mitzutragen kann auch bedeuten, Hilfe anzunehmen und sich auf notwendige Veränderungen einzulassen.

Schon eine Haushaltshilfe für wenige Stunden bringt Entlastung

Einige Monate später habe ich Familie Schmitz wiedergetroffen. Frau Schmitz strahlte mich an. Sie haben es wirklich getan, sie haben eine Haushaltshilfe angestellt. Selbst wenn die nur ein paar Stunden in der Woche kommt, hat sich das Leben von Frau Schmitz doch deutlich verändert. Sie kann sich selbst etwas mehr schonen und hat jetzt Zeit für Dinge, die ihr Freude bereiten. Auch für gemeinsame Unternehmungen mit ihrem Mann. Ich frage Herrn Schmitz, wie es ihm geht: Gewöhnungsbedürftig sei es schon gewesen, dass da jemand Neues ins Haus kam. Aber die Dame sei ja ganz nett. Und er habe begriffen, dass es seiner Frau damit einfach besser geht. „Einer trage des andern Last.“

Ich hoffe, dass auch ich mir eines Tages diese Worte einmal zu Herzen nehme, wenn es notwendig sein sollte und ich auf Hilfe angewiesen bin. Hoffentlich kann ich dann auch – wie Herr Schmitz – über meinen eigenen Schatten springen und Hilfe annehmen.

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