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Nicht in Mitleid versinken
Bild: falco/Pixabay

Nicht in Mitleid versinken

Andrea Wöllenstein
Ein Beitrag von Andrea Wöllenstein, Evangelische Pfarrerin, Marburg
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Seinen Namen kennen wir nicht. Wir wissen nicht, welchen Beruf er hatte und warum er auf Reisen war. Was er getan hat, macht ihn unvergessen. Sein Verhalten hat ihm den Namen gegeben, unter dem seine Geschichte weitererzählt wird: Der Barmherzige. Der barmherzige Samariter.

Eine der bekanntesten Geschichten der Bibel: Ein Mann ist unterwegs von Jerusalem nach Jericho und fällt unter die Räuber. Sie rauben ihn aus und lassen ihn verwundet liegen. Zwei kommen und gehen vorbei. Sie sehen seine Not, aber sie helfen nicht.

Dann kommt er. Ein Ausländer aus dem ungeliebten Nachbarland. Er sieht den Verletzten und bleibt stehen. Die Not des Fremden geht ihm zu Herzen. Er hat Mitleid, fühlt mit - seine Schmerzen, sein Elend. Er weiß: Da könnte ich auch liegen. Es hätte auch mich treffen können! Er steigt von seinem Reittier, verbindet die Wunden und bringt den Überfallenen zu der nächsten Herberge. Der Samariter ist barmherzig und sorgt für den Verletzten.

Das ist der 1. Teil der Geschichte. Sie zeigt: Barmherzigkeit ist mehr als ein Gefühl. Barmherzigkeit ist praktische Hilfe, eine Schwester der Liebe, Mitfühlen mit dem Leid anderer. Mich ihnen zuwenden. Ganz für sie da sein. Das erfordert nicht nur Zeit, sondern auch Kraft. Körperliche und seelische Kraft. Manchmal gerate ich an die Grenze meiner Möglichkeiten. Muss gut auf mich achten, dass ich nicht über meine Kraft gehe. Alle, die im sozialen Bereich arbeiten oder die kranke Angehörige pflegen, wissen, wovon ich spreche. Was schon immer anstrengend war, ist es in Corona Zeiten noch einmal mehr geworden.

Der barmherzige Samariter tut, was er kann, und dann setzt er seine Reise fort. Er gibt sich und seine Pläne nicht auf. Zerfließt nicht im Mitleid, sondern gibt dem Herbergsvater Geld, für die weitere Pflege und verspricht, auf dem Rückweg wieder vorbei zu kommen. Er ist barmherzig, ohne selber in Mitleid zu versinken.

Die Geschichte zeigt mir: Ich kann für andere da sein, ohne mich selbst aufzugeben. Mitfühlen ja -, aber nicht aufgehen im Leid des anderen. Innerlich immer wieder bewusst einen Schritt zurückgehen, um wieder bei mir selbst anzukommen. Barmherzig sein mit den anderen, ohne mich selber zu vergessen.

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