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Meine geliebte Durcheinanderfamilie

Meine geliebte Durcheinanderfamilie

Dr. Ulf Häbel
Ein Beitrag von Dr. Ulf Häbel, Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen

„Ist das Ihre Familie?“, wird einer meiner Söhne gelegentlich gefragt. Er arbeitet in einem Hotel in Berlin. In seinem Büro hängt ein Foto von unserer Familie. Das Bild ist schon etwas älter, bei einem Familienfest entstanden. Darauf sieht man meine Frau und mich und die fünf Kinder, die wir gemeinsam aufgezogen haben.

Mein Sohn ist auf dem Foto noch ein Jugendlicher. Heute arbeitet er wie gesagt als Hotelier in Berlin. Wenn er in seinem Büro Kundengespräche führt, dann schweift der Blick seiner Gesprächspartner über das Foto an der Wand. Mein Sohn erklärt dann: „Das Bild da an der Wand zeigt meine Familie im Vogelsberg, wo ich aufgewachsen bin. Im Hintergrund sieht man die Scheune unseres Bauernhofes, ein Teil des Fachwerkhauses, in dem meine Eltern bis heute wohnen, davor der Hof, der mit Vogelsberger Basalt gepflastert ist.“

Manchmal, so hat er mir gesagt, wird das Kundengespräch interessanter, wenn es sich ein paar Minuten um das Familienfoto dreht anstatt nur um die zu verhandelnde Sache. Was ist an diesem Familienbild so besonders, dass die Leute sich dafür interessieren? Nun, wir, die Eltern, und unsere fünf Kinder sind sehr unterschiedlich. Das sieht man auf den ersten Blick. Mein Sohn, der Hotelier in Berlin, ist farbig. Mit seiner dunkelbraunen Hautfarbe hebt er sich von den anderen auf dem Bild ab. Wir haben ihn als kleinen Jungen adoptiert. Eine seiner Schwestern steht neben ihm. Sie ist nicht ganz so dunkelbraun wie er. Auch sie haben wir adoptiert. Und dann kommt auf dem Foto ein strohblondes, hellhäutiges Mädchen – eine weitere Schwester. Auch sie stammt nicht von uns Eltern ab. Sie ist ebenfalls adoptiert.

Auf dem Bild sind noch zwei Kinder, sogenannte leibliche von meiner Frau und mir. Meine Mutter hat das nie ganz verstanden. Sie hat uns eine Durcheinanderfamilie genannt. „Bei fünf Kindern vier verschiedene Sorten“, hat sie manchmal gesagt. Meine Mutter gehörte zu der Generation, in der das Bild einer Familie dem der Abstammungsfamilie entsprach. Da gab es den hellhäutigen Vater, die dazugehörige weiße Mutter und dann die gleich aussehende Kinderschar.

Auf unserem Familienfoto ist das eben anders. Da gibt es Weiße und Farbige, adoptierte und leibliche Kinder. Die Verwunderung darüber hat meine Mutter auch unseren Kindern erzählt. Als sie gestorben ist und wir sie zu Grabe getragen haben, hat unser jüngster Sohn gesagt: „Sie hat uns alle gleich lieb gehabt.“ Die Liebe der Großmutter haben sie alle gespürt und die war nicht aufgeteilt je nach Hautfarbe oder Abstammung. Die Liebe ist die Kraft, die uns in aller Verschiedenheit verbindet und versöhnt. Die Liebe trägt alles, hofft alles, glaubt alles. So steht es in der Bibel. (1. Korinther 13) Diese Liebe, die hört niemals auf.

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