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Jammern und klagen
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Jammern und klagen

Eva Reuter
Ein Beitrag von Eva Reuter, Katholische Pastoralreferentin, Betriebsseelsorge im Bistum Mainz / Regionalstelle Rheinhessen
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Es gibt Tage, an denen möchte ich mich einfach nur hinsetzen und bemitleidet werden. Das Schicksal ist ungerecht zu mir und nichts kann es besser machen. Im Moment gibt’s wirklich besonders viel Grund zum Jammern, finde ich: Die Corona-Regeln sind chaotisch, ein Impftermin in weiter Ferne, und ein Ende der Kontaktbeschränkungen nicht in Sicht. Schon morgens denk ich: Ich will nicht mehr! Das reicht jetzt!

Wie gut, wenn ich dann mal so richtig jammern kann. Aber mit dem Jammern ist es so eine Sache: Es führt nicht wirklich weiter. Schon meine Oma wusste „Jammern nutzt nix!“ und sie hatte Recht. Wenn ich jammere, gefalle ich mir in meinem Selbstmitleid. Ich bejammere die Umstände und suche nicht nach Wegen aus der Misere. Ich möchte nur bemitleidet werden.

Etwas anderes ist es mit dem Klagen. Klagen ist nicht dasselbe wie jammern. Wenn ich etwas wirklich Schlimmes zu beklagen habe, wie den Verlust meiner großen Liebe, das Zusammenbrechen meiner wirtschaftlichen Existenz oder den Tod eines lieben Menschen, dann betrifft mich das in meinem Inneren. Dann hilft es mir nicht, wenn mich Menschen mit billigem Trost beschwichtigen wollen. Klagende möchten ihren Schmerz, ihre Trauer loswerden, und dabei kann die Klage helfen.

Wie gut ist es da, wenn es offizielle Anlässe gibt, bei denen klagen erlaubt ist. Die bundesweiten Gedenkgottesdienste für die Corona-Opfer gestern waren so ein Anlass. Dabei konnten Menschen ihr Klage über die Corona-Pandemie laut aussprechen. Trauergottesdienste haben mir schon öfter geholfen, meine Trauer und auch meine Wut herauszulassen. Als Christin kann ich meinen Gott an-schreien – und das habe ich auch schon getan. Schon die Beterinnen und Beter der Psalmen haben das getan. Sie haben zum Teil in drastischen Worten Gott ihre Situation vorgeworfen. Auch Jesus hat in seiner Todesstunde in seiner Verzweiflung Gott angeschrien: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus-Evangelium 27,46) Es sind die Worte des 22. Psalms. Dort schreit der Beter zu Gott und klagt laut: „Sei mir nicht fern, denn die Not ist nahe und kein Helfer ist da!“ (Psalm 22,12)

Meiner Erfahrung nach ist klagen manchmal einfach not-wendig. Das Herausschreien der Not war der Beginn des Weges aus der Krise.

Das ist etwas Anderes als das weinerliche Jammern über unbequeme Kleinigkeiten. Das geht tiefer und gehört zu einem Prozess der Veränderung dazu. Ich beklage: Das Alte ist vorbei, und ich weiß noch nicht, wie das Neue sein wird. Ich kann nicht erkennen, wozu das alles gut sein soll. Wenn ich so laut klage – vor meinem Gott oder alleine oder vor Freunden -, dann bewältige ich damit meinen Schmerz. Wenn ich geweint habe oder geschrien, dann ist mein Schmerz nicht nur hörbar geworden, sondern auch ein bisschen kleiner.

Diese echte Klage hat mir schon öfter gut getan. Ich habe Gott meine Not und meinen Frust entgegenschreien: „Wie lange noch? Warum?“ – und ich bin überzeugt davon: Er hört mich immer. So wie die Beterinnen und Beter der Psalmen: „Die aufschrien, hat der HERR erhört, er hat sie all ihren Nöten entrissen. Nahe ist der HERR den zerbrochenen Herzen und dem zerschlagenen Geist bringt er Hilfe.“ (Psalm 34, 18-19)

 

 

 

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