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hr4 Gottesdienst an Karfreitag aus Frankfurt-Heddernheim
St. Thomaskirche/Günter Volkamer

hr4 Gottesdienst an Karfreitag aus Frankfurt-Heddernheim

Anja Harzke
Ein Beitrag von Anja Harzke, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt am Main
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hr4 Gottesdienstübertragung an Karfreitag
aus der evangelischen St. Thomaskirche in Frankfurt-Heddernheim
Liturgie und Predigt: Pfarrerin Anja Harzke
Moderation und Lesung: Ingo Lücke
Liturgische Mitwirkung: Mirjam Sprau, Anja Geffers, Peter Rassow
Musik: Thomaskantorei unter der Leitung von Tobias Koriath, Ralf Petrausch (Solist); Bläser-Quartett: Alexander Gröb, Michel Eckert (Trompeten), Martin Herrmann, Norbert Hardegen (Posaunen); Jens Amend (Orgel)


Liebe Gemeinde! Liebe Hörerinnen und Hörer!

So viele sinnlose Tode. So viele Leben enden vor der Zeit. Mensch, er war doch noch so jung, denke ich, wenn ich einen 60-Jährigen beerdigen muss. Erst recht, wenn ein Kind stirbt.

So viele Leben enden vor der Zeit,  weil andere sie mit Gewalt beenden. Manchmal traue ich mich nicht mehr, die Nachrichten einzuschalten aus Angst, wieder mit neuen unfassbaren Gräueln konfrontiert zu werden. All diese Tode sind so brutal, so unnötig, so sinnlos. Sie trüben meinen Blick auf das Leben, sie erschüttern mein Weltbild. Gibt es denn keinen, der der Gewalt und dem Töten Einhalt gebietet? Will ich in einer solchen Welt leben? Der Lebensmut gerät ins Wanken. So viele sinnlose Tode.

Am Karfreitag denken wir an einen sinnlosen Tod. Am Kreuz auf Golgatha wird Jesus von Nazareth hingerichtet. Für die Anhänger und Freundinnen von Jesus, für seine Familie geht die Welt unter. Alles, woran sie geglaubt haben, ist zerstört. Die Hoffnung auf Gottes neue Welt wird mit Jesus ans Kreuz genagelt. Zurück bleibt die Leere des Todes, die dröhnende Stille, das Dunkel.

Ein sinnloser Tod damals auf Golgatha. Sinnlose Tode heute an vielen Orten. In Kriegen. Auf der Flucht in Schlauchbooten auf dem Mittelmeer. Und auch mitten unter uns. Sinnloses Sterben durch Unfälle, Sterben durch Krankheit. So viele Menschen sterben einen zu frühen, einen sinnlosen Tod.

Es ist die Stärke des Christentums, dass es sich dem sinnlosen Tod stellt. Von Anfang an sind Christen dem Schrecken des Todes nicht ausgewichen. Sie haben die Schrecken des Sterbens Jesu nicht geleugnet und nicht verdrängt. Das Folterinstrument von Golgatha ist sogar zum zentralen Symbol des Christentums geworden. Im Mittelpunkt des Glaubens an Christus steht das Kreuz.

„Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dieser Schrei von Jesus am Kreuz ist nicht das Ende, sondern der Anfang des christlichen Glaubens. Als Christin kann ich mich nicht darüber hinwegtäuschen: Auch das Schlimmste, das Bitterste ist möglich. Das ist furchtbar. Aber hier fängt der Glaube an Gott an.

Er flüchtet sich nicht in Vertröstungen. Christlicher Glaube sagt nicht: Alles nicht so schlimm. Das Leben hier ist ja nur eine Durchgangsstation. Danach wird alles besser. Nein, die Bibel nimmt das irdische Leben mit seinem Leiden ernst. Deshalb hat Jesus die Kranken gesund gemacht und ging zu den Ausgegrenzten. Deshalb hat er das Reich Gottes verkündet, die neue Welt, die schon jetzt und hier anfängt. Gott liebt diese Welt. Deshalb sendet er seinen Sohn Jesus Christus zu uns.

Musik: Heinrich Schütz, „Also hat Gott die Welt geliebt“

Der Glaube an Christus beschönigt das Leiden nicht. Alles Leid, das geschieht, ist schlimm und erschüttert. Darum erinnern wir heute an Karfreitag an das Leiden von Jesus. Wenn ich auf das Kreuz sehe, dann denke ich auch an die, die ich habe sterben sehen. Die einen viel zu früh. Andere hochbetagt. Ich vermisse sie. Wenn ich auf das Kreuz sehe, dann denke ich auch an die, die ich nicht kannte, aber deren Tod mich erschüttert. Die Opfer von Gewalt, die Opfer von Katastrophen. Das Kreuz mutet mir das zu: den Blick auf den sinnlosen Tod auszuhalten. Und doch zu wissen, sie sind nicht vergessen, sie sind nicht im Nirgendwo.

Der Tod von Jesus am Kreuz ist sinnlos. Aber die Sinnlosigkeit behält nicht das letzte Wort. An Ostern erscheint der gekreuzigte Jesus seinen Jüngern. Erst ängstlich, zögerlich, dann immer klarer und mutiger sehen sie das Kreuz in einem ganz anderen Licht. An Karfreitag haben sie gedacht, die Feinde und Mörder von Jesus haben gesiegt. Aber jetzt sehen sie: Die Mörder haben gar keine Macht. Gott hat Macht, sogar über den Tod.

Schritt für Schritt sehen die Jünger das Leiden und Sterben Jesu mit anderen Augen. Sie üben sich darin, die Perspektive Gottes einzunehmen. Sie wagen es, den Weg Jesu als Weg der Liebe zu begreifen. Ihr Glaube an Gottes Macht wird immer mutiger, ja richtig kühn. Der Tod von Jesus am Kreuz wird für sie zum Sieg des Lebens.

Am kühnsten in der Bibel ist der Evangelist Johannes. In den anderen Evangelien ist Jesus das Opfer, das hilflos der Gewalt seiner Mörder ausgeliefert ist. Beim Evangelisten Johannes bleibt Jesus immer souverän, auch wenn er leidet.

Jesus trägt selbst den Kreuzesbalken nach Golgatha. Er braucht keine Hilfe. Jesus hat noch am Kreuz die Kraft, sich um andere zu kümmern. Er sieht seine Mutter und seinen Lieblingsjünger unterm Kreuz stehen. Er sagt zu ihnen: „Das ist dein Sohn. Das ist deine Mutter.“ Eine letzte Geste der Liebe. So schafft Jesus noch am Kreuz neue Beziehungen.

Im Johannes-Evangelium sind die letzten Worte von Jesus am Kreuz: „Es ist vollbracht.“ Er hat seinen Auftrag erfüllt. Er hat den Willen Gottes ausgeführt. Dieser Wille Gottes ist Liebe. Diese Liebe Gottes hat Jesus vollkommen gelebt. Und er hat gezeigt, die Liebe lässt sich auch durch Gewalt und Tod nicht schrecken und nicht vom Weg abbringen.

Musik: Benedetto Marcello, Largo aus der Sonate F-Dur für für Posaune und Orgel

Es ist vollbracht. Der Evangelist Johannes deutet den Tod von Jesus kühn und radikal. Das scheinbar sinnlose Sterben hat bei ihm höchste Bedeutung. Die Mörder von Jesus dachten: „Der ist fertig. Dem hilft keiner, auch nicht Gott.“ Aber diesen gebrochenen, gekreuzigten Menschen weckt Gott zu neuem Leben auf. Die Deutung der Mörder, der Mächtigen wird weggefegt.

Stattdessen gilt: Der zu Tode Gefolterte hat die Liebe bis zuletzt durchgehalten. Keine Macht, auch nicht das Böse konnte die Liebe aufhalten. Gott liebt diese Welt. Daran ändert keine Gewalt etwas. Daran ändert auch der sinnlose Tod nichts. Der Tod ist durchbrochen. Am Kreuz siegt die Liebe und das Leben.

Es ist vollbracht.

Ja, das ist kühn, was der Evangelist Johannes da erzählt. Der Tod ist nicht einfach weg. Die Schmerzen sind nicht einfach vergessen, als hätte es sie nie gegeben, als wäre alles nicht so schlimm. Doch, es ist schlimm, wenn Menschen leiden. Selbst der auferstandene Jesus hat die Wundmale von seiner Kreuzigung an Händen und Füßen, an seiner Seite. Jesus kommt nicht einfach zurück in sein altes Leben. Der Schrecken des Todes bleibt Schrecken. Die Sinnlosigkeit des Sterbens bleibt ein Skandal. Der Schmerz bleibt. Aber die Mörder, die Despoten bestimmen nicht mehr. Der Tod bestimmt nicht mehr. Gott allein hat das letzte Wort, und sein letztes Wort heißt Leben.

Das ändert alles. Gegen die, die meinen, über Menschen und deren Leben bestimmen zu können. Nein, ihr habt nicht das letzte Wort.

Ins Dunkel fließt Licht. Da oben am Kreuz, im Leid, im Tod, da ist Gott. Gott ist da, wo Menschen leiden. Gott ist da, wo Menschen sterben. Gottes letztes Wort an uns ist: Es ist vollbracht. Du wirst leben. Gegen alles Dunkel und gegen alle Hoffnungslosigkeit bricht sich etwas Neues Bahn.

Manchmal glaube ich, ich kann etwas davon spüren, ich kann das hören. Zum Beispiel wenn ich am Grab stehe von Menschen, die ich lieb gehabt habe. Dann weiß ich, dieses Grab ist nicht alles. Das ist nicht das Ende. Nein, wir enden nicht im Nichts. Manchmal kommt es mir so vor, als höre ich das im Zwitschern der Vögel auf den Gräbern. Das hier ist nicht alles, es ist nicht das Letzte. Die Hoffnung siegt. Das Singen der Vögel auf den Gräbern verheißt mir: Licht fließt ins Dunkel. Du wirst leben.

Amen

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Bildquelle Pixabay

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Pia Arnold-Rammé
Ein Beitrag von Pia Arnold-Rammé, Katholische Pastoralreferentin, Referentin für Sozialpastoral, Frankfurt
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