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Glücksmomente
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Glücksmomente

Andrea Weitzel
Ein Beitrag von Andrea Weitzel, Katholische Schulseelsorgerin und Religionslehrerin, Hanau
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"Was ist denn das für ein krasses rot? Und noch so ein sattes grün! Und dazwischen leuchtet alles gelb! Das sieht ja richtig gut aus!" Ich traute meinen Ohren kaum, als ich diese Worte hörte. Denn sie flossen nur so aus dem Mund meines heranwachsenden Sohnes, der derzeit eher wortkarg daherkommt. Und doch brachen seine Gedanken ungefiltert aus ihm hervor – beim Blick nach draußen in unseren herbstlichen Garten.

Und mein Sohn sprach mir aus der Seele. Gemeinsam freuten wir uns nun an dem wilden Wein aus dem nachbarlichen Garten. Strahlend rot warf er seine Blätterranken bis in unseren Garten hinein. Wir lobten den grünen Rasen, der sich von der sommerlichen Dürre inzwischen wieder erholt hatte und noch einmal frisch durchgetrieben war. Dazu bildeten die gelben Herbstfarben der Stauden und Sträucher herrlich leuchtende Akzente.

Da standen wir also und sahen uns an – zutiefst verbunden im gegenseitigen Verstehen. Ein wirklich wunderbarer Moment! Ein kleiner Glücksmoment, der mir auch jetzt noch, einige Wochen später, ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Und dass, obwohl die Herbstfärbung unseres Gartens längst verblasst ist und ein brauner Schleier die kräftigen Farben zugedeckt hat. Aber das macht nichts, denn in meiner Erinnerung sind die Farben und die Nähe zu meinem Sohn deutlich und sicher aufbewahrt.

Und dieses Glück bleibt! Wie bin ich erleichtert! Denn ich neige dazu, glückliche Augenblicke im alltäglichen Trubel schnell wieder zu vergessen oder sogar komplett zu verpassen. Doch jetzt ist wieder ein Anfang gemacht: Ich möchte Glücksmomente sammeln für die bereits begonnene, dunkle Jahreszeit.

Und da ist er da, der Gedanke an Frederick. Fredericks Geschichte hat Leo Lionni schon im Jahr 1967 im gleichnamigen Bilderbuch festgehalten. Leo Lionni beschreibt einfühlsam, wie die Maus Frederik keine Nüsse wie seine Familie sammelt, sondern Farben, Erinnerungen und Worte. Zuerst belächelt, wird er es im tiefsten Winter sein, der mit seinen Erinnerungen Wärme in die Herzen der anderen Mäuse bringt.

Schon lange ist mir diese Geschichte bekannt. Sie gefiel mir immer schon grundsätzlich gut – doch erst jetzt, als ich entdecke, wie glücklich mich die Erinnerung an den gemeinsamen Blick in den Garten macht, kann ich Fredericks Botschaft im Herzen nachvollziehen. Im Kopf war es mir auch schon vorher klar: Arbeiten, Sorgen und Planen sind genauso wichtig für das Überleben wie das bewusste Wahrnehmen und das Teilen von Erinnerungen. Ein echtes Gefühl dafür kann ich jedoch erst jetzt entwickeln. Und damit gewinnt dieses Kinderbuch eine ganz andere, neue Bedeutung für mich.

Und ich verstehe sogleich etwas mehr davon, was Glücksmomente für mich ausmachen: Es sind Momente, in denen sich ein Gegenstand, eine Begegnung, eine Erinnerung mit guten, stärkenden Gefühlen verbinden. Auf diese Weise werden die Welt und mein eigenes Erleben unendlich reicher – ganz unabhängig vom materiellen Wert. Die Dinge und Erfahrungen werden irgendwie voller, erfüllter – erfüllen ihre eigentliche Bedeutung für mich.

"Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben." Dieses Ziel setzt Jesus im Johannesevangelium über das menschliche Leben.

Ich merke, dann und wann, und manchmal ganz unerwartet beim Anblick roter Weinblätter fühlt sich im Jetzt und Hier mein Leben ganz schön erfüllt an!

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