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Es wird Zeit…
Bild: medio.tv/Dellit

Es wird Zeit…

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau
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‚Ey, euch ist heute der Heiland geboren!‘

– Moment mal: ist das nicht eine Woche zu früh? Nein, es wird Zeit, höchste Zeit sogar für die letzten Proben – auch in Zeiten wie diesen. Sonst klappt’s nicht beim Krippenspiel am Heiligen Abend.

‚Ey, euch ist heute der Heiland geboren!‘

Hilfe, die Herdmanns kommen“ - Krippenspiel mal anders

Das brüllt der Verkündigungsengel. Ganz schön unkonventionell für die Botschaft von der Geburt Jesu. Leopold Herdmann brüllt das. In Barbara Robinsons Erzählung ‚Hilfe, die Herdmanns kommen‘. Wir haben ein Rollenspiel daraus gemacht.

Mehr als unkonventionell sind auch die Darsteller in diesem Krippenspiel. Die sechs Herdmann-Kinder sind der Schrecken der Gemeinde: sie sind ungezogen und frech, rauchen und klauen. ‚Schlimmste Kinder aller Zeiten‘ ist die einhellige Meinung über sie.

Ausgerechnet die wollen mitmachen beim Krippenspiel der sonst so beschaulichen Gemeinde. Und die Herdmanns kapern alle Hauptrollen.

Eugenia Herdmann spielt die Maria

Eugenia spielt die Maria. Sie ist nicht lieb und nett. Sie wird wütend, weil es keinen Platz in der Herberge gibt. Sie schubst alle weg, die dem Jesuskind ihrer Meinung nach zu nahekommen wollen. Und sie wiegt das Kind auch nicht. Sie legt sich die Babypuppe über die Schulter und gibt ihr einen Klaps auf den Rücken als ob der Säugling Bauchweh hätte. Kein stimmungsvolles Bild.

Na, ob da noch Weihnachtsstimmung aufkommt? Schöne Bescherung: Weihnachten droht schief zu gehen, genau wie der Schleier, den sich Eugenia nur wiederwillig hat aufsetzen lassen und der natürlich sofort schief sitzt.

Maria - die Garantin für Weihnachtsgefühle?

Maria – ist sie nicht Garantin für Weihnachtsgefühle? Duldsam und still nimmt sie hochschwanger eine beschwerliche Reise auf sich. Unter schwierigen Umständen bringt sie ein Kind zur Welt, und freut sich auch noch über fremde Leute, die da einfach reinplatzen. Und bei all‘ dem bleibt sie anmutig und lieb und nett.
So eine Maria kommt in vielen Krippenspielen vor. So wird sie gern dargestellt. So wird sie sogar manchmal als Vorbild hingestellt.
Der vierte Advent ist Maria gewidmet. Es wird Zeit, mal hinter die Figur zu schauen. Mal die Eugenia Herdmann in Maria zu entdecken.

Das traditionelle Maria-Bild wird hinterfragt

Eugenia Herdmann spielt die Rolle der Maria selbstbewusst. Sie ist nicht die liebe und nette Frau, die sich in ihr Schicksal fügt.
Es ist gut, wenn das traditionelle Bild der Maria hinterfragt wird, oder das Bild, das die Tradition aus ihr gemacht hat. Maria, die alles erträgt und dabei auch noch lächelt – der Prototyp einer in der Männerwelt erwünschten Frauenrolle. Das ist nicht nur kitschig, das ist auch unfair gegenüber der biblischen Maria.
Die ist selbstbewusst und anspruchsvoll, die will Veränderung, und da ist sie sich mit Gott einig. Maria singt ein Lied, und das hat’s in sich. Ein Lied voll Erwartung und Hoffnung, ein Lied voll Mut und Vertrauen.

Der Lobgesang der Maria: das Magnificat aus LK 1

Als ‚Magnificat‘, als Lobgesang der Maria ist dieses Lied bekannt. Es steht im Lukasevangelium (Lk1, 46-55).
‚Der Herr hat große Dinge an mir getan‘, singt Maria. Obwohl ihre Lebensumstände keine gute Perspektive erwarten lassen, vertraut sie darauf, dass Gott Großes mit ihr vorhat. Es braucht solches Selbstbewusstsein, um mit der Widrigkeit ihrer Situation umzugehen: Mit einem verunsicherten Partner wie Josef. Der weiß nicht, ob er bei Maria bleiben soll, weil das Kind, dass sie erwartet nicht seins ist. Da ist der Weltherrscher Augustus. Durch seine Steuerpolitik zwingt er allen seinen Willen auf. Da ist Herodes, der alle ermordet, die seine Macht hinterfragen.

„Die Welt ist nicht so, wie Gott sie will“

Das soll und das wird nicht so bleiben, da ist sich Maria gewiss: ‚Gott stößt die Gewaltigen vom Thron‘ singt sie weiter. Was für eine Ansage: Die Welt ist nicht so, wie Gott sie will. Allzu oft wird Macht missbraucht. In ihrem Lied nennt Maria das die ‚Hoffärtigkeit‘ der Mächtigen. Das ist die Arroganz der Macht, die Rücksichtslosigkeit der Mächtigen, ihre Kungelei untereinander und ihre Ignoranz gegenüber den Opfern von Machtmissbrauch. Das meint hoffärtig sein. Und wer so ist, darf nicht an der Macht bleiben.

Maria sieht das ganz klar und sie erwartet von Gott, dass er das ändert. Denn der ist barmherzig denen gegenüber, die ihn fürchten, singt sie. Das meint nicht Angst vor Gott haben, sondern nach seinem Willen fragen, heißt Gottes Willen einfordern in dieser Welt, und selbst Gottes Willen tun – zum Beispiel Hunger stillen, nach Brot und nach Gerechtigkeit.

Auf Gottes Barmherzigkeit trauen und barmherzig leben

Ich stelle mir vor, die Maria der Bibel weiß, wie schwer das oftmals ist, auf Gottes Barmherzigkeit zu vertrauen und Gottes Barmherzigkeit selbst in der Welt umzusetzen. In der Weihnachtserzählung der Bibel tun das Josef, der dann doch zu Maria hält. Barmherzig ist der Wirt, der dann doch noch einen Platz findet. Hirten, teilen das Wenige, was sie haben. Es gibt auch die Könige, die sich vor Gott beugen.

Maria redet Klartext

Maria ist keine Gefügige, Liebe und Nette. Maria redet Klartext. Sie stellt Forderungen und sie stellt sich den Herausforderungen.
Das ist Maria 1.0. Inzwischen gibt es Maria 2.0. Maria 2.0 ist eine Initiative von Frauen in der römisch-katholischen Kirche, die es seit 2019 gibt.
Es ist vielleicht vermessen, als männlicher evangelischer Pfarrer etwas zu dieser Bewegung zu sagen, aber hoffentlich angemessen.

Maria 2.0 setzt um, was Maria in der Bibel bedeutet

Ich finde, dass Maria 2.0 das umsetzt, was die Maria der Bibel bedeutet. Maria als Idealbild der schweigenden und dienenden Frau sollte nicht nur in der katholischen Kirche ‚ausgedient‘ haben. Es wird Zeit, höchste Zeit sogar, Hoffärtigkeit zu benennen, wo immer es sie gibt. In Kirche und Welt. Es wird Zeit, Machtstrukturen zu hinterfragen und Verhältnisse und Verhalten zu ändern. Es wird Zeit, sich neu auf die Barmherzigkeit Gottes zu besinnen, die nicht bedeutet, alles zu erdulden, sondern dafür zu sorgen, dass Gottes Wille Gehör findet und Wirklichkeit wird.

Eugenia Herdmann ist so was wie Maria 2.0 in unserem Krippenspiel – aber was wird daraus in diesem Jahr?

Hilfe, die Herdmanns kommen“- eine immer noch aktuelle Erzählung

Inzwischen sind viele Konzepte für Gottesdienste unter Corona-Bedingungen entwickelt und erfolgreich umgesetzt. Da wird es auch in diesem Jahr Krippenspiele geben.

Die Erzählung ‚Hilfe, die Herdmanns kommen‘ wurde vor 50 Jahren geschrieben. Sie ist heute noch aktuell und deshalb auch ein echter Lese-, Vorlese und Geschenketipp.

In ‚Hilfe, die Herdmanns kommen‘ wird die Gemeinde auf unkonventionelle Art dann doch in Weihnachtsstimmung versetzt.

Spätestens, wenn die Herdmann-Könige der Maria Brot, Milch und eine Wärmflasche fürs Kind überreichen wird klar, was es wirklich braucht. Es wird Zeit für weniger Weihrauch, dafür mehr Barmherzigkeit. Eugenia-Maria findet das gut, und ich auch.

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