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Es ist der Segen
Bild: s-ms/Pixabay

Es ist der Segen

Tina Oehm-Ludwig
Ein Beitrag von Tina Oehm-Ludwig, Evangelische Pfarrerin, Versöhnungskirche-Matthäuskirche Fulda
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Ein alter Mann ist fast taub. Aber er geht trotzdem jeden Sonntag zum Gottesdienst. Einmal fragt ihn jemand: "Warum gehst du eigentlich in die Kirche? Du verstehst doch überhaupt nichts von dem, was da gesagt wird?" Der alte Mann antwortet, ohne zu zögern: "Es ist der Segen!"

"Es ist der Segen!"

"Es ist der Segen!" – nicht nur für jenen alten Mann, sondern auch für viele andere Menschen. Der Segen ist für viele Menschen das, was ihnen am Gottesdienst besonders wertvoll ist. Deshalb kommen sie wieder. Der Segen ist das, was sie in ihrem tiefsten Inneren berührt.

Der Segen - wertvoll, wenn etwas Neues beginnt

Auch für mich ist der Segen besonders wichtig, weil er immer an einem Übergang gesprochen wird. An einem Übergang begegnet mir etwas Neues, etwas Unbekanntes. Oft freue ich mich auf das Neue, aber manchmal habe ich auch Angst davor. Ich frage mich: „Wird der Übergang gelingen?“ Deshalb ist mir der Segen so wertvoll. Er ist die Zusage Gottes, dass ich diesen Übergang nicht alleine bewältigen muss. Der Segen ist die Zusage Gottes: "Ich bin bei dir!"

An diesen Übergängen hat der Segen seinen Platz

An vielen kleinen und größeren Übergängen des Lebens hat der Segen seinen festen Platz. Am Ende eines Sonntagsgottesdienstes wird er am Übergang zu einer neuen Woche gesprochen. Ich gehe mit dem Segen hinein in meinen Alltag. Wenn ein Mensch getauft wird – egal ob als Kind oder als Erwachsener, steht der Segen am Übergang zu einem neuen Leben. Der Mensch gehört nun zu Gott und zu seiner Gemeinde. Bei der Einschulung werden Kinder am Übergang von der Kindergarten- zur Schulzeit gesegnet. Konfirmandinnen und Konfirmanden erhalten den Segen am Übergang zu einem mündigen, selbst verantworteten Christsein und zugleich am Beginn des Erwachsenwerdens. Bei der Trauung wird der Segen für Braut und Bräutigam am Übergang zu ihrem gemeinsamen Leben als Ehepaar gesprochen und bei der Beerdigung steht der Segen am Übergang von diesem Leben zu einem neuen Leben in Gottes Ewigkeit. Doch nicht nur im Gottesdienst findet sich der Segen.
Manche Mütter und Väter, Großväter und Großmütter verabschieden ihre Kinder und Enkelkinder mit den Worten "Gott segne dich!" jeden Morgen in die Schule
oder in den Kindergarten und jeden Abend in die Nacht.

Gott sagt zu: "Ich bin bei dir!"

"Ich bin bei dir!" -An vielen kleinen und größeren Übergängen des Lebens hat diese Zusage Gottes ihren festen Platz. Deshalb ist der Segen vielen Menschen so wichtig. Deshalb berührt er sie so stark. Sie erinnern sich auch Jahre später noch genau an den Moment, in dem sie oder die Menschen, die sie lieben, gesegnet wurden. Vielleicht erinnern auch Sie sich an solche Momente.

Musik J.S. Bach, Kantate "Der Herr denket an uns" BWV 196, 1.: Sinfonia

Der bekannteste Segen steht in der Bibel

"Es ist der Segen!", sagt der alte, fast taube Mann auf die Frage, warum er überhaupt noch zum Gottesdienst kommt. Der wohl bekannteste Segen der Bibel steht im 4. Buch Mose im 6. Kapitel. Dort heißt es:

"Und der HERR redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne."

Der aaronitische Segen hat eine lange Geschichte

Dieser Segen hat eine lange Geschichte. Er ist nicht nur der wohl bekannteste, sondern auch der älteste überlieferte Segensspruch der Bibel. Seit den Zeiten von Mose und seinem Bruder, dem Priester Aaron, sind unzählige Menschen an den kleinen und größeren Übergängen ihres Lebens mit genau diesen Worten gesegnet worden. Bis heute. Denn diese Worte haben ihren Ort im jüdischen Gottesdienst. Und nicht nur dort.

Seit Martin Luther steht dieser Segen am Ende unserer Gottesdienste

Seit Martin Luther steht dieser Segen, der sogenannte "Aaronitische Segen", auch am Ende unserer evangelischen Gottesdienste. Dieser Segen verbindet also. Wir stehen als Christinnen und Christen gemeinsam mit den Kindern Israels unter diesem Segen Gottes. Wohlgemerkt: Wir stehen unter dem Segen Gottes.

Gott ist es, der segnet, auch wenn Menschen den Segen zusprechen

Es ist immer Gott, der segnet. Es sind nicht wir Menschen. Auch wenn es Menschen sind, die den Segen aussprechen. Menschen sprechen anderen Menschen den Segen Gottes zu. Aber er ist deshalb nicht unser Segen. Es ist und bleibt Gottes Segen.
Und damit ist der Segen mehr. Er ist mehr als nur ein guter Wunsch von Mensch zu Mensch. Der Segen ist Gottes Zusage. Er ist sein Versprechen. Gott hat Mose und seinen Bruder Aaron einst wissen lassen: "Wann immer ihr so sprecht: Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. Wann immer ihr so sprecht, werde ich dabei sein – mitten in euren Leben."

Musik J.S. Bach, Kantate "Der Herr denket an uns" BWV 196, 2.: Coro 

An was lässt sich erkennen, ob jemand gesegnet ist?

Lässt sich der Segen Gottes, lässt sich dieses Dabeisein Gottes im Leben an etwas festmachen – ganz konkret? Für die einen bedeutet Segen, im Leben Glück zu haben und gesund zu sein. Andere fühlen sich gesegnet, wenn sie beruflich erfolgreich sind. Wenn sie ein gutes Einkommen haben und sich dadurch vieles leisten können. Doch daran lässt sich der Segen Gottes nicht festmachen.

Trotz mancher Widrigkeiten sich gesegnet fühlen

Das Leben ist nicht immer leicht und schön. Dennoch kann es gesegnet sein – mit Menschen, die wir lieben und von denen wir geliebt werden. Beziehungen sind nicht immer glücklich und ungetrübt. Es ist nicht immer alles "Friede, Freude, Eierkuchen." Dennoch können Beziehungen gesegnet sein – durch die feste Gewissheit, sich trotz allem aufeinander verlassen zu können. Der Beruf, den wir ausüben, oder die Arbeit, die wir verrichten, ist nicht immer befriedigend. Wir ernten nicht immer Lob und Anerkennung für das, was wir leisten. Dennoch kann unser Tun gesegnet sein. Es kann im Stillen Kreise ziehen. Und schließlich: Das Alter ist nicht immer würdevoll und erhebend. Dennoch kann es gesegnet sein. Denn es schenkt Zeit – Zeit für das eine oder andere, für das ich zuvor keine oder nur wenig Zeit hatte. Zeit, um die Hände zu falten und zu beten.

Ja, es gibt Menschen, die mit Glück und Gesundheit, Wohlstand und Erfolg, Einkommen und Auskommen reich gesegnet sind. Das war schon zur Zeit der Bibel so. Und es ist heute nicht anders. Aber daran lässt sich der Segen Gottes nicht festmachen. In den Worten aus dem 4. Buch Mose ist von alledem nicht die Rede. Stattdessen heißt es: "Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.

An zwei Worten kann man den Segen festmachen

So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne." In diesen Sätzen fallen mir zwei Worte besonders ins Auge.
Zum einen das Wort "Name", genauer gesagt: Gottes Name. Er soll auf die Menschen gelegt werden. Zum anderen das Wort "Angesicht": Gottes Angesicht, das Gott über uns leuchten lassen und über uns erheben will. Beim Segen geht es also um den Namen und um das Angesicht Gottes.

Gesegnet - im Namen Gottes

"So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne", sagt Gott zu Mose. Beim Segen wird der Name Gottes über einem Menschen genannt. Ein Mensch wird mit dem Namen Gottes belegt. Er wird im Namen Gottes gesegnet. Und das bedeutet: Ein Mensch wird zu Gott in Beziehung gesetzt. Es wird eine Verbindung mit Gott hergestellt. Der Segen ist nichts Magisches. Mit dem Segen kann man nicht einfach alle Gefahren, alles Leid und alles Unglück abwehren oder von einem Menschen fernhalten. Ebenso wenig wie man mit dem Segen Glück und Gesundheit, Wohlstand und Erfolg, Auskommen und Einkommen einfach heraufbeschwören kann.

Segen ist ein Beziehungsgeschehen

Der Segen ist vielmehr ein Beziehungsgeschehen. Er setzt mich in Beziehung zu Gott, er verbindet mich mit ihm. Mein Leben ist dann nicht mehr ohne Gott.

Mein Leben ist zwar seit der Taufe nie mehr ohne Gott. Ich stehe seither in Verbindung mit ihm. Aber durch den Segen wird mir das wieder bewusst. Durch den Segen wird es mir neu zugesprochen: "Du bist nicht allein an den kleinen und größeren Übergängen deines Lebens. Gott ist dabei. Er schenkt dir Kraft und neuen Mut. Er richtet dich wieder auf. Er tröstet dich."

Musik J.S. Bach, Kantate "Der Herr denket an uns" BWV 196, 3. Aria

Hineingesegnet in den Machtbereich Gottes

Beim Segen geht es um den Namen Gottes, der auf einen Menschen gelegt wird. Mit dem "Namen" verbindet sich auch ein Machtbereich. Wenn ich im Namen Gottes gesegnet werde, dann werde ich in seinen Machtbereich hineingesegnet. Dann werde ich in seinen Machtbereich hineingestellt. Damit ist allen anderen Namen und Herren die Macht über mein Leben abgesprochen. Zwar gibt es dennoch vieles, was mein Leben beeinflusst, was an mir zieht und zerrt. Aber es hat keine Macht über mich. Denn als Gesegnete stehe ich in Gottes Machtbereich – oder wie es der Liederdichter Philipp Spitta ausgedrückt hat: "Ich steh in meines Herren Hand."

Segnen leite sich vom lateinischen signare ab

Es ist wohl kein Zufall, dass sich das deutsche Wort "segnen" von dem lateinischen Wort "signare" ableitet. Das bedeutet "kennzeichnen, mit einem Zeichen versehen". Ein Künstler signiert sein Werk. Er macht damit unmissverständlich deutlich: "Dieses Werk stammt von mir." Der Künstler kennzeichnet sein Werk als zu ihm gehörig. Wenn Gott einen Menschen segnet, dann macht er damit ebenfalls unmissverständlich deutlich: "Du gehörst zu mir! Niemand kann dich aus meiner Hand reißen."

Beim Segen geht es auch um Gottes Angesicht

Neben dem Namen Gottes geht es beim Segen auch um Gottes Angesicht. In dem Segen, den Gott an Mose übermittelt, ist gleich zweimal vom Angesicht die Rede: "Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir" und "der HERR hebe sein Angesicht über dich." Segnet Gott einen Menschen so lässt er sein Angesicht über ihm leuchten, dann hebt er sein Angesicht über ihn. Mit anderen Worten: Wenn Gott einen Menschen segnet, dann wendet er sich ihm zu, dann sieht er ihn an. Das Alte Testament erzählt an vielen Stellen, dass es für den Menschen gefährlich, ja sogar tödlich ist, Gott ins Angesicht zu schauen.

Der Blick der Liebe Gottes

Anders verhält es sich jedoch, wenn Gott einem Menschen sein Angesicht zuwendet, wenn Gott es ist, der einen Menschen ansieht. Das bedeutet für den Menschen Heil, hebräisch: Schalom. Es bedeutet Heil, weil Gott uns Menschen mit den Augen der Liebe anschaut. Und dieser Blick der Liebe Gottes macht uns Menschen heil. Er lindert die Enttäuschungen und Verletzungen, die das Leben mir vielleicht zugefügt hat. Er lässt die Fragen und Zweifel, die bisweilen an mir nagen, verstummen – zumindest für einen Moment.

Der Blick schenkt mir Ansehen und Würde

Dieser Blick der Liebe Gottes ist es auch, der mir mein Ansehen und meine Würde gibt. Er macht mich im wahrsten Sinne des Wortes ansehnlich – egal, was andere von mir denken. Egal, wie kritisch ich mich selbst betrachte. Egal, was ich in meinem Leben geschafft oder versäumt habe.

Beim Segen wendet sich Gott mir ganz persönlich zu. Er sieht mich an. Sein Blick fällt auf mich – sein Blick der Liebe. Unter diesem Blick der Liebe Gottes erlebe ich mich als ganzer, als heiler Mensch. Unter diesem Blick der Liebe Gottes erlebe ich einen Moment, in dem ich nicht zweifeln, nicht fragen, nicht kämpfen muss, sondern einfach sein darf.

Sich als Kind Gottes erleben

Ich erlebe einen Moment, in dem ich einfach bin, nämlich Kind Gottes, geliebt und angenommen.
Vielleicht ist es gerade dieser Moment, der jenem alten, fast tauben Mann so wichtig ist und der ihn Sonntag für Sonntag in den Gottesdienst gehen lässt. Dieser Moment, in dem Gott beim Segen sein Angesicht ihm ganz persönlich zuwendet. Dieser Moment, in dem er spürt, wie ihn der Blick der Liebe Gottes trifft.

Musik J.S. Bach, Kantate "Der Herr denket an uns" BWV 196, 4.: Duetto

Auf die Frage hin, warum er überhaupt noch zum Gottesdienst kommt, antwortet der alte, fast taube Mann: "Es ist der Segen: Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden." Und dann lächelt der alte Mann – und es ist, als ob sich das Leuchten des Angesichtes Gottes in seinem Gesicht widerspiegelt.

Der Segen verändert

Der Segen ist nicht spurlos an dem alten Mann vorübergegangen. Er hat ihn verändert. Er lässt ihn anders und als anderen weitergehen. Ich stelle mir vor, dass der alte Mann etwas aufrechter aus der Kirche hinausgeht, als er hineingekommen ist. Denn Gott hat ihm mit seinem Segen den Rücken gestärkt. Der alte Mann ist gewiss: Er wird auch den morgigen Tag mit seinen kleinen und größeren Herausforderungen schaffen. Mit Gottes Hilfe. Und dann ist da noch dieses Lächeln, dieses Leuchten in seinem Gesicht. Auch das vermag der Segen.

Der Segen kann Menschen "leuchten" lassen

Er kann einen Menschen leuchten lassen. Wer beim Segen den Blick der Liebe Gottes auf sich spürt, dem kann es passieren, dass er gar nicht anders kann, als diesen Blick der Liebe weiterzugeben. Er wird zu einem Menschen, der sich nun selbst anderen zuwendet – von Angesicht zu Angesicht und mit liebevollem Blick. Er wird zu einem Menschen, der sich Gottes Sicht der Dinge zu eigen macht. Er schaut hinter die Dinge und den Menschen ins Herz. Er wird zu einem Menschen, in dessen Gesicht etwas von dem Glanz des Angesichtes Gottes aufscheint, und trägt den Widerschein dieses Glanzes hinaus in die Welt. "Ich will dich segnen", sagt Gott an einer anderen Stelle der Bibel. Und er fährt fort: "Und du sollst ein Segen sein." (1. Mose 12,2)

Musik J.S. Bach, Kantate "Der Herr denket an uns" BWV 196, 5.: Coro

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