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Eine Menschlichkeit sondergleichen
Bild: S. Hermann & F. Richter/Pixabay

Eine Menschlichkeit sondergleichen

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Der Wachmann sieht streng aus in seiner Uniform. Er steht im Eingang des Warenhauses. Hier darf nicht jeder hinein. Ich bin nicht weit entfernt und erkenne, dass der Wachmann so auf Menschen sieht, als sehe er nicht hin. Tut er aber. Denn jetzt kommt ein Mann, der ein bisschen ärmlich aussieht, zerzauste Haare, sein Mantel ist viel zu groß. Er will sich wohl aufwärmen bei Licht und Glitzer.

Der Wachmann versperrt einem Mann den Weg

Der Wachmann macht nur ein paar Schritte und versperrt dem Mann den Weg. Gesprochen wird nicht; es wird ausgegrenzt. Der etwas Zerzauste will sich gerade wegdrehen, da kommt ein junger Mann, vornehm gekleidet. Der muss das Ganze beobachtet haben wie ich.

Lassen Sie mal, der Herr gehört zu mir

Er tritt dazu und sagt zum Wachmann: Lassen Sie mal, der Herr gehört zu mir. Zum Zerzausten sagt er: Komm, mein Freund, wir gehen. Und gehen ins Haus, ins Licht und in die Wärme.

Befreiung aus einer misslichen Lage

Mir bleibt der Mund offen stehen. Im Stillen denke ich, was man heute so oft laut sagt: WAHNSINN! Das gibt es also. Der junge Mann macht aus einem peinlichen Moment ein großes Ereignis. Der Ärmliche weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Und der strenge Wachmann überlegt wohl, wie die beiden zusammenpassen. Drei Menschen in einer seltsamen Lage, einer davon befreit sie.

Ich werde Zeuge von Menschlichkeit

Und ich werde Zeuge. Zeuge einer Menschlichkeit sondergleichen. Auf so eine Idee muss man ja erst einmal kommen. Woher der junge Mann das wohl hat?, frage ich mich. Frage ich heute noch, wenn ich daran denke. Vielleicht war es der Einfall eines Moments, vielleicht gehört das aber auch zu dem jungen Mann. Er ist achtsam auf die, die aus der Welt fallen oder in seine Welt nicht zu passen scheinen. "Scheinen" sage ich absichtlich, denn es stimmt ja nicht. Zum Menschen passen immer Menschen. Der Mensch ist des Menschen Freund, eigentlich.

Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut

Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut, (Jes. 58, 7) heißt es in der Bibel.  Oft ist es anders, ich weiß. Hier aber nicht. Hier werde ich Zeuge einer Menschlichkeit, die ihresgleichen sucht. Und wünschte mir selber solche Einfälle, wenn wieder mal gespottet und gehetzt wird gegen andere Menschen. Vielfalt ist menschlich. Andere einfach in Schutz nehmen wie in einen Mantel. Als wären sie ein Teil von mir.

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