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Ein Wunder an Mensch
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Ein Wunder an Mensch

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Ein Wunder an Mensch, die Dichterin Hilde Domin. Vor zehn Jahren ist sie gestorben (am 22. Februar 2006). Ein Wunder an Mensch, tatsächlich. Die schwersten Wege, beginnt ein Gedicht von ihr, Die schwersten Wege / werden alleine gegangen. Davon gab es bei ihr einige. Der erste war ihr Weg ins Exil, nachdem Hitler an die Macht kam. Ihm traute sie sofort zu, dass er tut, was er sagt: Morden. Im Krieg in Europa. In den Straßen und Lagern die Juden. Domin ging fort aus Deutschland, in die Dominikanische Republik. Den Namen behält sie: „Domin“. Eigentlich heißt sie Palm. Aus Dankbarkeit, dass man sie dort aufgenommen hat, heißt sie nach dem Krieg Domin. Sie kommt auch wieder nach Deutschland, nach Heidelberg, 22 Jahre nach der Flucht. Weil sie dem Land vertraut; und den Menschen hier. Es kommen dann noch schwere Wege. Freunde sterben früh; ihr Ehemann auch. Die schwersten Wege / werden alleine gegangen, dichtet sie, und weiter: die Enttäuschung, der Verlust, / das Opfer, / sind einsam. Man muss die Wahrheit nicht einfach schlucken, denkt sie, man muss sie auch aussprechen. So klar wie nötig. So schön wie möglich. Dichten ist die Welt bewältigen. Mit Worten. Denn sie hofft.

Hilde Domin hofft. Aufgeben gibt es für sie nicht. Auch im Dichten nicht. Zwar werden die schwersten Wege alleine gegangen, aber so endet das Gedicht nicht. Und doch, heißt es weiter, wenn du lange gegangen bist, / bleibt das Wunder nicht aus. An Wunder muss man glauben, sonst sieht man sie nicht. Sie sind zwar immer da, werden aber nicht erkannt. Werden nur von denen gesehen, die an sie glauben, auf sie hoffen und wissen, dass sie geschehen. Auf einmal, wenn du lange genug gegangen bist, alleine auf deinem schweren Weg, sind doch wieder Menschen da. Bekannte oder Fremde. Sie reichen dir einfach die Hand oder ein Stück Brot und Wein oder ihr Ohr. Du hörst ihre Stimmen ganze nahe bei deinem Herzen. Weil du dich nicht versteckst mit deinem Leid. Weil du mit Wundern rechnest und mit Gott. Weil wir ohne Gnade nicht leben können, sagt Hilde Domin. Und Gnade oft näher ist, als wir meinen. Sie ist nicht irgendwo in einem Jenseits, sondern hier, neben mir. In Gestalt von Menschen. Die ein Wunder sein können. Nicht nur an Bosheit. Auch an Güte, Achtsamkeit und Fürsorge. Jeder kann das Wunder sein, jede kann damit rechnen und es sehen. Aber auch sein. Für die, die schwanken auf ihrem schweren Weg. Und wollen, dass ich ihre Hand nehme.

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