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Du kannst nur verändern, was du angenommen hast

Du kannst nur verändern, was du angenommen hast

Dr. Ulf Häbel
Ein Beitrag von Dr. Ulf Häbel, Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen

Als Kind war ich oft in der Küche eines Bauernhauses. Da hing ein Spruch an der Wand:

Genieße, was dir Gott beschieden,
entbehre gern, was du nicht hast;
ein jeder Stand hat seinen Frieden,
ein jeder Stand hat seine Last.

Meine Frau kennt diesen Spruch auch aus ihrer Kindheit. Bei ihrer Großmutter hing er im Zimmer. Er war bei früheren Generationen verbreitet. Heute kommt er mir altmodisch formuliert vor: Auch vom Sinn ist er befremdlich. \"Genieße, was dir Gott beschieden, entbehre gern, was du nicht hast\"? Einfach verzichten auf etwas, was man gerne hätte, das tut doch keiner. Und das auch noch gern. Das wirkt resignativ.

Und doch haben sich die Menschen den Spruch nicht umsonst an die Wand gehängt. Etwas muss an diesem Spruch dran sein, was sie angesprochen und bewegt, ihnen Kraft gegeben hat. Ich versuche, das zu verstehen. Die Generation meiner Großeltern hat viele Entbehrungen erlebt. Zwei Weltkriege haben sie durchgemacht, Hungerzeiten erlitten, auch Flucht und Vertreibung waren ihnen auferlegt.

Für sie war Entbehrung nicht nur ein Begriff. Das war Wirklichkeit, die sie erlebt haben, sie konnten dem nicht ausweichen. Die mussten sie annehmen. Und das, was man angenommen hat, lässt sich leichter ertragen. auch wenn es Entbehrung oder schweres Geschick ist.

So bekommt die befremdliche Formulierung einen neuen Sinn: "Entbehre gern, was du nicht hast". Der Satz muss sie bestärkt und ermutigt haben. Nimm die Realität an, so wie sie ist. Verschwende deine Energie nicht in der ständigen Klage über alles, was nicht gut ist. Psychologen behaupten: Es liegt eine Stärke darin, dass wir das, was ist, annehmen, ja dazu sagen, statt es zu bejammern. Sie gehen noch weiter und sagen: Du kannst nur verändern, was du angenommen hast.

Mir ist das einsichtig geworden durch den Besuch einer Frau, mit der wir befreundet waren. Als wir in derselben Stadt lebten, sind wir uns oft begegnet. Sie war damals in einer schwierigen Situation. Die Ehe löste sich auf und für die Kinder musste sie alleine sorgen. Manche Freunde gingen auf Distanz und die Familie stand auch nicht hinter ihr. Es war alles sehr mühsam und schwer für sie und sie hat viel geklagt und gejammert.

Wir haben oft miteinander geredet. "Weißt du, was uns damals am meisten geholfen hat?", fragte sie mich im Rückblick auf ihre Lebensgeschichte, "als ich verstanden hatte, dass es keinen Zweck hat, ständig zu klagen oder mich selbst zu beweinen. Als ich den Mut fand, ja zu sagen zum Leben wie es ist, da konnte ich manches ändern". Das leuchtet mit ein. Solange ich die Wirklichkeit bejammere oder Schuldige dafür suche, bin ich darin gefangen. Sowie ich aber die Situation annehme, werde ich frei, genauer hinzusehen, was wirklich ist, und ich bekomme Ideen und Kraft etwas zu ändern.

Von einem Freund, der bei den Anonymen Alkoholikern ist, weiß ich, dass es eine Voraussetzung zur Heilung ist. Wer seine Suchterkrankung annimmt, hat Chancen gesund zu werden. Wer sie leugnet, entschuldigt oder verbirgt, bleibt krank. Es stimmt wohl doch: Du kannst nur verändern, was du angenommen hast.

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