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Das Leben sportlich sehen
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Das Leben sportlich sehen

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen

Hessen erlebt gerade ein besonders sportliches Wochenende. In Kassel tragen die deutschen Leichtathleten ihre Meisterschaften aus. Gleichzeitig sind viele Menschen im Fußball-Fieber der Europameisterschaft. Sportler wollen gewinnen, im Wettkampf gegen die anderen. Ansonsten gegen sich selbst. Sie wollen möglichst immer besser werden, die persönlichen Grenzen verschieben. Nach dem Prinzip „höher, schneller, weiter“.

Aber dieses Prinzip gilt ja nicht nur dort, sondern auch in vielen anderen Bereichen des Lebens. Der Apostel Paulus sieht sogar den Glauben sportlich. In einem Brief an Christen in Korinth schreibt er: „Ihr wisst doch: Im Stadion laufen alle Läufer schnell. Aber nur einer gewinnt den Preis. Lauft wie der, der gewinnt!“ (1. Korinther 9,24) Paulus stachelt die Christen zu einem Wettlauf an. Als Preis winkt allerdings nicht das Siegerpodest im Stadion, sondern ein Siegerkranz bei Gott. Und die Disziplinen heißen auch nicht Laufen, Werfen, Springen. Sondern: Gottes Liebe in die Welt tragen und die Gebote befolgen. Zum Glauben gehört für Paulus: Besser werden wollen. Und die Welt besser machen zu wollen.

Das klingt sehr kämpferisch. Sportlich eben. Viele Sportler geben alles, denn sie wollen unbedingt gewinnen. Und wenn sie das nicht schaffen, dann hadern sie mit sich und der Welt. Manche kommen darüber gar nicht hinweg. Sie versuchen, sich immer weiter zu steigern, wenn es sein muss mit überhartem Training oder sogar mit Doping. Gute Sportler lernen allerdings auch, ihre Grenzen zu achten.

Das gilt übrigens nicht für den Sport, sondern überall. Unsere Sprache bringt das ganz gut auf den Punkt: Sie kennt die Redewendung: „Das nehme ich sportlich“, Das bedeutet das zweierlei. Erstens: „Ich lasse mich auf einen Wettkampf ein, den ich gewinnen will.“ Und zweitens: „Wenn ich das nicht schaffe, dann will ich ein guter Verlierer sein.“ Sollte man alles sportlich sehen und sich selbst immer neue Höchstleistungen abverlangen? Es gibt einen berühmten Song der Beatles, der rät davon ab. Sein Titel lautet: Let it be.

Musik: „Let it be“ von den Beatles

"Wenn ich mich in sorgenvollen Zeiten wiederfinde, kommt Mutter Maria zu mir. Sie spricht Worte der Weisheit: Lass es geschehen. Und in meiner Stunde der Dunkelheit steht sie mir direkt gegenüber und spricht Worte der Weisheit: Lass es geschehen. Nimm es an. Lass es gut sein."

Diesen Song hat Paul McCartney 1969 geschrieben. Mitten hinein in die Studentenrevolte, in den Vietnam-Krieg, in den blutigen Konflikt um Nordirland. In diese Zeit des Umbruchs hinein erklingt die ruhige Musik der Beatles – traurig und tröstlich zugleich. Der Song nimmt Druck aus dem Leben. Über die Jahrzehnte hinweg wurde es zu einer Hymne der Gelassenheit.

In dem Song verarbeitet Paul McCartney einen nächtlichen Traum. Er befindet sich gerade in einer schwierigen Phase seines Lebens und ist entsprechend niedergeschlagen. Da erscheint ihm im Traum seine Mutter. Sie heißt Mary, also Maria und ist zwölf Jahre zuvor verstorben. Aber in seinem Traum lebt sie. Und sie macht ihrem Sohn Mut. Sie sagt: Let it be. Das nimmt Paul McCartney aus dem Traum mit in sein Leben: „Let it be.“ Nur drei kurze Worte, aber die haben es in sich. Denn sie lassen ganz viele Nuancen anklingen: Lass es zu. Bleibe entspannt. Versuche nicht, etwas herbei zu kämpfen. Lass den Dingen ihren Lauf.

Let it be. Dieser kleine Satz hat noch einen zweiten Bezug. Er steht in der Bibel. Ausgesprochen hat ihn eine andere Maria, eine junge Frau, die später die Mutter Jesu sein wird. Davon weiß sie in diesem Moment allerdings noch nichts. Doch das ändert sich, als ein Engel zu ihr kommt. Er verkündet ihr, dass ausgerechnet sie Jesus, den Sohn Gottes gebären wird. Maria staunt – wie könnte es anders sein! Doch dann sagt sie zu dem Engel diesen Satz: Mir geschehe, wie du gesagt hast. (Lukas 1,38)

Auf Englisch heißt das: „Let it be to me according to your word.“ Auch das lässt Paul McCartney in seinem Song anklingen. Er erinnert an die biblische Maria, die sich vertrauensvoll in den Willen Gottes schickte. Damit ist sie für viele zu einem Vorbild des Glaubens geworden. Maria macht dabei etwas ganz anderes stark als der sportliche Paulus, der den Glauben mit einem Wettlauf verglich. Maria lässt einfach nur Gottes Wort an sich geschehen. So, wie es im berühmtesten Gebet, im Vater Unser, heißt: „Dein Wille geschehe. Maria ist sich sicher, dass Gott mit ihr etwas vorhat. Was auch immer daraus wird. Nicht im eigenen Tun erlebt sie ihren Glauben, sondern im Geschehen lassen.

Dem Leben seinen Lauf zu lassen, das kann einen entlasten. Es kann einen befreien, etwas in Gottes Hand zu legen, auch wenn man dafür bei den eigenen Zielen und Idealen zurückstecken muss. Etwa bei der Arbeit, wenn die Anforderungen einfach zu hoch werden. Oder in der Familie, wenn man nicht allen Ansprüchen genügen kann. Dann ist es besser, nicht doch noch das Unmögliche möglich machen zu wollen. Sondern einfach zu sagen: Mehr geht nicht! Alles Weitere liegt in Gottes Hand. Es passiere, was passiert. Let it be.

Musik: „Let it be“ von den Beatles

"Und wenn all die die Leute, die mit einem gebrochenen Herzen in der Welt leben, zustimmen, dann wird es eine Antwort geben: Lass es geschehen. Für diejenigen, die voneinander getrennt sind, gibt es immer noch eine Chance zu sehen, dass es eine Antwort geben wird: Lass es wahr werden."


Der Song wird allmählich intensiver, er lädt sich mit Energie auf. Dabei verschiebt er auch die Bedeutung seines Titels. „Let it be“ – das bedeutet nun eher: Lass es wahr werden! Mach, dass es wahr wird! Die Gebeugten können sich zusammentun und dafür kämpfen, dass sich etwas ändert. So schürt der Song die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Let it be – damit hat Paul McCartney einen doppelbödigen Song geschaffen. Einerseits nimmt er Dampf heraus, besänftigt und beruhigt. Andererseits treibt er an, ruft zum Engagement. Der Song stellt die Frage: Was kann ich tun? Und was muss ich geschehen lassen? Das fragen sich viele. Die Antwort muss man sich selbst geben. Denn sie hängt davon ab, wie viel Kraft man hat. Und wie viel Hoffnung. Wie leicht oder wie schwer es einem fällt, die Ansprüche nicht zu erfüllen, nicht die eigenen und nicht die der anderen. Auch wie leicht oder wie schwer es einem fällt, all die Ungereimtheiten und die Ungerechtigkeiten dieser Welt hinzunehmen.

Wie geht man am besten um mit den Grenzen des Machbaren? Das ist auch eine Frage des Glaubens. Selbst der Apostel Paulus, der den Glauben sportlich nahm, musste sich dem stellen. Er wollte viel erreichen und verlangte sich dafür Höchstleistungen ab. Aber sein Glaube lehrte ihn auch, seine Grenzen erkennen. Mehr noch: Paulus lernt, dass Gott ihn auch als schwachen Menschen braucht. „Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig“schreibt er in einem seiner Briefe. (2. Korinther 12,9) Für Paulus ist klar: Sein Leben ist verbunden mit einer Macht, die das weit übersteigt, was er persönlich will und kann. Diese Macht umfasst alle. Und sie ist der Ursprung von allem. Diese Macht ist Gott. Darin findet Paulus die Kraft, sich zu engagieren und zugleich das Vertrauen sich fallen zu lassen. Let it be.

Kämpfen und Sich fallen lassen – beides gehört zum Glauben. Damit klarzukommen, ist gar nicht so einfach. Deshalb lautet eine berühmte Lebensweisheit: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Diese weisen Worte sind ein Gebet, eine Bitte an Gott. Und das ist kein Zufall. Denn am Ende kommt all das von Gott. Gott lässt geschehen. Gott lässt hoffen. Und Gott schenkt Zukunft. Daraus etwas zu machen, ist allerdings an uns.

Musik: „Let it be“ von den Beatles

"Und wenn die Nacht bewölkt ist, gibt es immer noch ein Licht, das auf mich scheint. Es scheint bis zum Morgen: Lass es geschehen."

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