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Das Leben feiern

Das Leben feiern

Andrea Wöllenstein
Ein Beitrag von Andrea Wöllenstein, Evangelische Pfarrerin, Marburg
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Eine Freundin lädt ein zu einem Fest. „Heute Morgen“, sagt sie, „habe ich die Ergebnisse vom Krankenhaus bekommen. Sie konnten den Tumor vollständig entfernen. Ich brauche keine weiteren Therapien. Das möchte ich mit euch feiern. Gleich heute Abend. Mit allen, die mich unterstützt und mit mir gebibbert haben.“

Es ist mitten in der Woche. Trotzdem kommen fast alle aus dem Freundeskreis. Eine hat Salat gemacht, andere bringen Brot und Käse und eine große Schüssel Erdbeeren mit Sahne.

Die Gastgeberin holt zwei Flaschen aus dem Kühlschrank. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Champagner gekauft. Ich möchte mit euch auf das Leben anstoßen!“ Sie gießt ein, und wir prosten ihr zu. Auf ihre Gesundheit! Auf unsere Freundschaft! Auf die guten Ärztinnen und Ärzte! Auf das Leben! Der Korken knallt. Die Gläser klirren, der Champagner prickelt. Wir reden und lachen, und man kann sie förmlich spüren – die Freude, die uns alle erfüllt.
Beim Nach-Hause-Gehen sagt eine: „Das sollte man viel öfter machen – das Leben feiern! Grund genug haben wir doch alle!“  Stimmt das?
Zwei Menschen sagen Ja zueinander. Ein Kind wird geboren. Eine Prüfung ist geschafft! Ein runder Geburtstag. Das sind besondere Momente im Leben, die wir feiern. Aber sonst? Im normalen Alltag – worüber freue ich mich? Was macht mich froh?

Eine Begegnung, mit der ich nicht gerechnet habe. Wie jetzt im Urlaub. Ich gehe am See entlang und plötzlich sehe ich ein Gesicht. Das kann doch nicht wahr sein! Sabine! Eine gute Bekannte. Hier treffen wir uns – 500 km von zu Hause! Wir gehen erst mal ein dickes Eis essen. Mit Sahne!
„Wie war’s denn bei euch im Urlaub?“ frage ich meine Nachbarin. „Eigentlich ganz schön“, sagt sie, „aber am letzten Tag kam das dicke Ende. Stell dir vor: Unsere Tochter ist am Strand gestürzt, auf ganz eklig spitze Felsen. Das ganze Gesicht war voll Blut. Wir haben sie gleich ins Krankenhaus gebracht. Aber es waren nur Platzwunden. Wir sind so froh! Es hätte ganz anders kommen können!
Oder das leidige Thema: Geschenke kaufen. Ich überlege hin und her, schau mir dies an und das. Weiß nicht so recht, ob‘s passt – und treffe genau das Richtige! Mein Mann freut sich – und ich fast noch mehr!
Meine Arbeit geht mir gut von der Hand. Ich merke: Ich kann das! Es macht mir Spaß. Das ist für viele der größte Glücksfaktor. Ich werde gebraucht. Ich kann, was ich soll. Es ist nicht zu viel und nicht zu wenig. Ein ehrliches Kompliment. Ein Dankeschön oder ein Lob für das, was ich gemacht habe. Mein Lieblingssong! Gerade im richtigen Moment habe ich das Radio angeschaltet! Sofort kommt gute Laune auf.  Und manchmal ist der Anlass zur Freude noch viel alltäglicher. Die Amsel, die vor meinem Fenster singt. Der Duft nach leckerem Essen, wenn ich nach Hause komme. Die Familie, die mit mir am Tisch sitzt. Kleine Momente, in denen ich spüre: Das Leben ist schön!

2. Das Leben feiern, nicht auf die großen Ereignisse warten, sondern die Freude im Kleinen entdecken… dazu ermuntert auch die Bibel.

„Freut euch im Herrn alle Wege und abermals sage ich: Freut euch!“ (Phil. 4,4)  - ist das möglich? Sich freuen - immer und überall? Freude verordnen oder gar befehlen? Spaß kann ich organisieren. Mit witzigen Comedyshows oder beim Karneval. Ich kann Leute zum Lachen bringen, kann andere mit etwas Schönem überraschen. Aber Freude lässt sich nicht befehlen. Das zeigt schon unsere Sprache. Wir sagen: „Ich habe Spaß“ und: „Ich bin froh“. Freude ist nichts, was ich habe wie ein schnelles Auto oder was ich machen kann wie einen leckeren Apfelkuchen. Freude ist etwas, das von innen kommt. Über das ich nicht verfüge. Manchmal ist sie da, meine Stimmung ist hell und klar. Und dann – ich weiß manchmal gar nicht warum – legt sich ein Schatten auf die Sonne. Ich fühle mich schwer, alles ist mühsam. Praktisch wäre das, wenn Freude sich verordnen ließe, per Rezept oder Mouseclick. Eine kleine rosa Pille und alles ist wieder im Lot. Freude immer und überall - das Rezept hätte ich gerne!

Paulus hat es entdeckt. Er schreibt einen Brief an Freunde in Philippi, ein kleiner Ort in der heutigen Türkei. Dort hat er eine Weile gelebt. Von Jesus erzählt und seiner Botschaft. Es sind Freundschaften entstanden und eine kleine christliche Gemeinde. Paulus ist weitergezogen, aber er möchte den Kontakt halten. Im Austausch bleiben. Hören, wie es ihnen geht. Von dem erzählen, was ihn selber umtreibt. Und das ist gerade heftig: Wegen seines Glaubens ist er im Gefängnis gelandet. Er weiß nicht, wie sein Prozess ausgehen wird. Alles ist offen. In dieser Situation hat er etwas entdeckt, was er den Freundinnen und Freunden unbedingt mitteilen will. Nämlich dass es Freude gibt, unabhängig von den äußeren Lebensbedingungen. Es geht ihm nicht um Spaß. Nicht um ein momentanes Glücksgefühl. Sondern er spricht von einer Freude, die immer da ist. Unter und hinter den Ereignissen des täglichen Lebens. Eine Freude, die mich hält und durchträgt. Sie wurzelt in der Gewissheit: Ich bin von Gott geliebt. Mein Leben hat einen Sinn, auch wenn ich das, was ich erlebe, nicht verstehe. Das schreibt er seinen Freunden, und er muss es sich auch selber immer wieder sagen. Freut euch, allewege und noch mal: Freut euch!

3. Das Leben feiern – das kann ganz verschieden aussehen. Ein großes Fest von langer Hand geplant. So macht es eine Kollegin. Sie konnte ihren runden Geburtstag nicht feiern. „Aber nächstes Jahr“, sagt sie, „da lade ich alle ein!“ Sie freut sich darauf und schmiedet jetzt schon Pläne. Oder ganz spontan und viel einfacher, wie das Fest unserer Freundin. Jede bringt etwas mit. Ohne Aufwand, ohne große Kosten. Anlässe gibt es genug: Es ist Sommer! Ich hatte Erfolg in meinem Job. Unser Kind hat einen Ausbildungsplatz. Ich habe Lust, eine große Pizza zu backen … oder was auch immer.

Das Leben feiern -  kann ich das auch alleine? Es passt ja nicht immer, dass ich andere einlade. Und manchmal ist mir auch gar nicht danach. Trotzdem kann ich meiner Freude Raum geben. Wenn etwas Schönes war, nicht gleich zum Nächsten übergehen. Einen Moment innehalten. Damit das Wissen: Das war gut! eine Etage tiefer sinken kann. In mein Herz und in mein Lebensgefühl. Feiern. Mir was gönnen. Mich loben: Super, gut gemacht! Mich bedanken bei denen, die mich unterstützt haben. Gott danken. Mich verbinden mit der Quelle der Freude. Mit dem Wissen: Es ist gut, dass ich da bin. Genauso, wie ich bin. Geliebt von Gott und Menschen an meiner Seite. Eine innere Freude, ein Getragensein. Auch wenn die Nachricht vom Arzt nicht gut war. Wenn ich den Gesang der Amsel nicht höre, weil anderes mir auf der Seele liegt.

„Wahrscheinlich werde ich am Ende nicht sagen: Ich habe zu wenig Staub gewischt.“  Diesen Satz habe ich neulich gelesen.  Nichts gegen Staubwischen. Das muss sein, ab und zu. Eine aufgeräumte, saubere Wohnung, entrümpelte Schränke und Schubladen sind auch ein Grund zu feiern und sich freuen. Aber das Leben ist mehr als Arbeit. Wir brauchen noch was anderes. Wahrscheinlich werde ich am Ende sagen: Ich habe zu wenig Feste gefeiert. Zu selten mit der Freundin Eis gegessen. Mich zu wenig gefreut über das, was mir gelungen ist.

Es wächst, was ich begieße. In unserem Garten ist das so in diesem Sommer. Ich habe nicht immer überall gegossen, bei der Trockenheit war mir das zu mühsam. Das sieht man jetzt: Meine Rosen und unsere Gurken haben die Hitze gut überstanden. Anderes ist klein geblieben oder ganz eingegangen. Mit der Freude ist es auch so. Sie wächst, wenn ich sie begieße. Es muss nicht immer Champagner sein – aber manchmal darf es auch knallen!

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