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Blind vertrauen
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Blind vertrauen

Dr. Ulf Häbel
Ein Beitrag von Dr. Ulf Häbel, Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen

In einem Kloster bin ich einen Erlebnispfad gegangen. Das ist ein ungefähr zwei Meter breiter Weg, der sich wie ein Bach durch den Klostergarten schlängelt. Man soll ihn barfuß gehen. So spürt man mit seinen Füßen das unterschiedliche Material, mit dem dieser Weg angelegt worden ist. Ein paar Meter geht man über feinen Sand wie an einem Strand. Dann kommt ein Stück Split, auf dem man sehr vorsichtig läuft, weil die kleinen Steinchen unter der Fußsohle wehtun. Es gibt ein Wegstück mit Mulch. Es fühlt sich wieder ganz anders an, wenn man die kleingehackten Holzstücke mit den Zehen krallt oder wenn man barfuß auf Rasen läuft.

Der Erlebnispfad im Klostergarten führt am Ende auf eine Wiese, auf der verschiedene Bäume stehen. Auf einer Informationstafel steht: „Schließen Sie die Augen und betasten Sie die Bäume!“ Und dann spürt man, wie unterschiedlich die Rinde einer alten zerklüfteten Eiche ist oder der glatte Stamm einer jungen Birke. Ich fand das faszinierend: die Bäume im wahrsten Sinne des Wortes begreifen und die Erde, den Boden zu spüren, auf dem ich gehe und stehe.

So etwas Ähnliches wie den Erlebnispfad habe ich oft mit Konfirmanden gemacht. Da gab es eine Variante. Ich habe die Gruppe in Paare aufgeteilt – wenn’s ging, immer ein Mädchen und ein Junge. Ich habe einen der beiden gebeten, die Augen zu schließen und so zu tun, als wäre er blind. Und der oder die andere führte dann den mit geschlossenen Augen durch den Park um unsere Kirche. Er ließ den mit geschlossenen Augen Bäume und Blumen betasten, eine Kirchenwand oder den Gartenzaun spüren, über den Rasen laufen oder vorsichtig ein paar Stufen gehen. Danach wurden die Rollen getauscht, so dass jeder erlebt hat, wie das ist, wenn man geführt wird oder selber einen anderen führt. Ich habe diese Übung die „Blindenführung“ genannt, bis ein Mädchen eine bessere Bezeichnung fand. Sie hat nach der Übung gesagt: „Ich hätte nie gedacht, dass es so schön ist, behutsam geführt zu werden und sich einem anderen anzuvertrauen.“ Seitdem haben wir diese Übung den Vertrauensspaziergang genannt.

Wenn ich das mit den Konfirmanden der nächsten Jahrgänge gemacht habe, dann habe ich schon beim Erklären vom Vertrauen geredet, dass da einer in den anderen setzt. Es hört sich doch anders an, ob ich sage: „Du musst keine Angst haben, der andere wird dich schon nicht stolpern lassen“ oder „Hab‘ Vertrauen!“..Statt: „Fürchte dich nicht“ sage ich lieber: „Hab‘ doch Vertrauen.“

Die Erfahrung, dass es schön ist, behutsam geführt zu werden und dabei Vertrauen zu spüren, wird in der Bibel auf die Beziehung des Menschen zu Gott übertragen. Da wird von Gott geredet wie von jemandem, der mich behutsam meine Wege führt, dem ich mich anvertrauen kann, der mir Mut macht, meinen Weg zu gehen.
In einem sehr alten Lied der Bibel, dem 23. Psalm wird dafür das Bild vom guten Hirten gezeichnet. Das hört sich so an:

Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führt mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal,
fürchte ich kein Unglück,
denn du bist bei mir.
Gutes und Barmherzigkeit
Werden mir folgen mein Leben lang.

Also: Hab‘ doch Vertrauen!

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