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Knechte und Mägde im Altersheim
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Knechte und Mägde im Altersheim

Uwe Groß
Ein Beitrag von Uwe Groß, Katholischer Diakon, Pfarrei St. Peter und Paul, Wiesbaden

Fünf Uhr morgens auf dem Bauernhof, die Kuh muht und die Schweine grunzen, und Christian Zingg ist der Herr dieser Schweine und Kühe. Er kümmert sich in aller Frühe um die Rindviecher und Säue im Stall, wie schon sein ganzes Leben lang. Melken und Füttern steht morgens an, anschließend erst Kaffeetrinken. Hier trifft er sich mit den anderen Knechten und Mägden, die alle zusammen – hier auf dem Bauernhof – leben im Altersheim. Ein Altersheim ganz anderer Art. Vor über hundert Jahren wurde es gegründet, für altgewordene Knechte und Mägde. Das besondere an diesem Altenheim in der Schweizer Ortschaft Koppigen: Hier sitzen die Alten eben nicht stundenlang vor dem Fernseher oder warten in einer Sitzecke auf ihre Angehörigen, hier im Dienstbotenheim Koppigen tun alle, was sie immer getan haben: Marmelade aus frischgeernteten Beeren einkochen, Holz schlagen, Tiere füttern, den Stall ausmisten, Gemüse anbauen oder Wäsche waschen. Jeder natürlich nur, soweit er noch kann.

Heimleiter Alexander Nägeli erzählt: „Viele zogen einst von einem Bauern zum nächsten. Weil unsere Bewohner hier wie gewohnt arbeiten, kommt ihnen dieser Ort meist nicht wie die letzte Lebensstation vor, sondern eher wie ein Stellenwechsel.“ Heimweh haben da die wenigsten. Zumal fast niemand ein echtes Heim hat. Die meisten Bewohner waren unverheiratet oder haben keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern. Manchmal waren sie einfach zu arm, um ihre Kinder zu ernähren, und mussten sie zur Adoption freigeben. Hier im Dienstbotenheim haben sie eine neue Familie. Jeder tut hier noch, was er tun kann, fühlt sich akzeptiert im Kreis der Mitbewohner. Die Gründung dieses Heimes war eine Pioniertat der Geschwister Affolter von Öschberg. Sie wollten mit ihrer Idee alleingelassenen Knechten und Mägden einen Lebensabend in Würde ermöglichen.

Ich gehe manchmal in Wiesbaden in ein Altenheim, um dort jemanden aus der Gemeinde zu besuchen, und dann kommt mir genau diese Frage: Ist dies ein Lebensabend in Würde? Was ist ein Lebensabend in Würde? Oft genug sind die Altenheime gut ausgestattet, aber das Personal hetzt von Mensch zu Mensch, die Alten fühlen sich an der Endstation angekommen. Manchmal ist das einzige, was sie sich erhoffen, der Tod. Viele Altenheime strahlen wenig Hoffnung aus. Darüber reden ist tabu. Gott sei Dank werden Menschen immer älter. Aber wie gestalten wir das Altern? Beispiele wie das Dienstbotenheim in Koppingen machen mir Mut. Ich finde, es müsste mehr solcher Altenheime geben. Heimleiter Alexander Nägeli sagt: „Wir können den alten Menschen hier einen Alltag bieten, den sie vorher auch hatten. Das ist für viele der reine Luxus.“ Vielleicht besteht darin genau die Herausforderung: Menschen im Alter auch die Teilhabe am Leben zu ermöglichen. Dies geschieht oft genug in unseren Familien selbst, da, wo Angehörige zuhause gepflegt werden. Dies kann aber auch im Altenheim geschehen, wenn Senioren dort noch Aufgaben wahrnehmen können, oder wenn sie immer wieder von der Familie abgeholt werden, zu einem Ausflug oder einem Familienfest. Wenn ältere Menschen spüren: Sie werden noch gebraucht und können am Leben anderer teilnehmen. Dann ist der Lebensabend keine Endstation, sondern eine neue Phase ihres Lebens.

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