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Verzeihen befreit

Verzeihen befreit

Gudrun Olschewski
Ein Beitrag von Gudrun Olschewski, Evangelische Pfarrerin, Pfungstadt

An den Streit mit seinen Eltern erinnert sich Thomas als wäre es gestern gewesen. Es war beim Geburtstag seiner Mutter. Damals im Wohnzimmer hatte Thomas seinen Eltern vorgeworfen, an der Trennung von seiner Frau Mitschuld zu haben: „Hättet ihr euch nicht ständig eingemischt, wären wir heute noch zusammen“.

Ein Wort gab das andere. Ohne Abschied, voller Wut im Bauch verließ Thomas das elterliche Haus und warf die Tür hinter sich krachend ins Schloss. Seitdem herrscht Funkstille, der Kontakt zu seinen Eltern ist abgebrochen. Keine Besuche, keine Anrufe mehr. Die Kränkung sitzt noch immer tief, auf beiden Seiten.

Nach einer heftigen Auseinandersetzung wieder aufeinander zu zugehen, fällt schwer, nicht nur Thomas und seinen Eltern. Es fällt schwer, den ersten Schritt zu tun und wieder miteinander zu reden, einen Schlussstrich zu ziehen. Eine Kränkung zu verzeihen, die lange manchmal schon sehr lange, zurückliegt. Sicher, die Grade von Kränkungen fallen unterschiedlich aus. Und es gibt Vorkommnisse, die völlig unverzeihlich scheinen. Niemand ist ganz frei davon: Worte oder Taten eines anderen Menschen können so tief verletzen, dass sie nicht mehr vergessen werden können.

„Vergebt, so wird euch vergeben,“ lese ich in der Bibel. Nur wenn ich die eigenen Fehler erkenne und akzeptiere, bin ich in der Lage, auch für andere Verständnis zu entwickeln und nachsichtiger zu werden. Keiner ist perfekt. Alle machen Fehler.

Mir hilft es, wenn ich dabei mal die Seiten wechsle und versuche, mich in die Lage des anderen hineinzuversetzen. Der Konflikt erscheint dann oft in einem anderen Licht. Um Verzeihung zu bitten und selbst zu verzeihen ist sicher nicht immer einfach. Doch es ist der einzige Weg, neu miteinander anzufangen.

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