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Halt machen, mitten im Rennen
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Halt machen, mitten im Rennen

Thomas Zels
Ein Beitrag von Thomas Zels, Pastor, Freie evangelische Gemeinden Marburg

Ich schaue gern bei den Olympischen Winterspielen in Südkorea rein. Es macht Spaß, so viele Wettkämpfe und Spitzensportler zu erleben. 205 Mitgliedsländer verzeichnet das Internationale Olympische Komitee inzwischen, sogar 12 Länder mehr als die Vereinten Nationen haben. Sport verbindet. Das ist schön in einer Welt, die zerrissen ist von unzähligen Konflikten.
Aber das olympische Motto „höher, schneller, weiter“ gibt mir manchmal auch zu denken. Zum Beispiel bei den Rekorden. Wann sind die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit erreicht? Seit der Neueinführung der Olympischen Spiele 1894 haben die sich in allen Disziplinen ständig nach oben verschoben. Erstaunlich. Mittlerweile geht’s nur noch um Zehntel- oder Hundertstelsekunden bzw. Millimeter. Aber immer nach oben. Der Dopingverdacht geht dauernd mit. Das andere olympische Motto, „dabei sein ist alles“, gerät unter dabei etwas unter die Räder. Die sportlichen Abfahrten, Sprünge und Rennen erinnern mich an meinem Alltag. Auch da geht es oft um das Motto „höher, schneller, weiter“. Alles wird hektischer und schneller. Beim Informationsfluss und im täglichen Leben. Ruhige Menschen trifft man selten. Nur nicht stehenbleiben! Schon Vorschulkinder sind heute bestens organisiert und hetzen, von Mamas Taxi unterstützt, durch ihre Veranstaltungen. Besser und schneller sein als andere ist anscheinend ungeheuer wichtig. Bei den Schulnoten, beruflich und auch im Straßenverkehr.
Aber ich kann mein Leben doch nicht immer so führen, als wäre ich auf der Piste beim Superski. Der Soziologe Hartmut Rosa sagt sogar, dass die zunehmende Beschleunigung des Lebens Gefahren mit sich bringt1. Wer überall der Beste sein will, macht mehr Fehler. Wer beim Autofahren telefoniert, egal mit welcher Technik, hat ein viermal so hohes Unfallrisiko. Wir können zwar mehrere Dinge nebeneinander aufnehmen, aber nicht zwei Dinge gleichzeitig konzentriert und erfolgreich tun. Irgendwas leidet dann.
Das fängt oft schon bei einer Begrüßung an. Jemand trifft mich und fragt „Na, wie geht’s?“, und während ich anfange zu erzählen, was mir Sorgen macht, sieht der andere irgendwie durch mich hindurch, wird unruhig und schaut auf die Uhr. Er wollte gar nicht wissen, wie’s mir geht, sondern nur höflich erscheinen. Blöd, oder? Das passiert mir im Alltagsrennen aber auch, dass ich manchmal nicht ganz bei der Sache bin. Ich bin da und doch nicht da. Weil ich schon im Kopf habe, was als nächstes erledigt werden muss.
Wie kann man es schaffen, nicht in Hektik zu verfallen und zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden?

Man soll nicht schneller unterwegs sein, als die Seele erlaubt, sagt ein indianisches Sprichwort. Wir müssen mal Halt machen, mitten im Rennen. Um wieder zum Wesentlichen zu finden. Halt machen ist wichtig. Weniger ist manchmal mehr. Jedenfalls in vielen Bereichen. Die Sehnsucht nach Entschleunigung ist groß. Manche fliehen für eine Auszeit ins Kloster. Gute Idee. Viele sind aber darauf angewiesen, sich im laufenden Alltag Ruheplätze zu verschaffen. Immer nur Olympia spielen macht einen fertig. Nur, wie macht man das?
Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel mit Enthaltsamkeit. Das ist nichts anderes als Gewinnen durch Weglassen. Am Aschermittwoch, also vor 4 Tagen, hat wieder die große österliche Fastenzeit im christlichen Jahreskalender begonnen. Christen versuchen sich in den 40 Tagen vor Ostern zu entschleunigen. Sie wollen nicht vergessen, was wirklich zählt. Dazu hilft Enthaltsamkeit. Halt machen, mitten im Rennen.
Das christliche Fasten wird zu diesem Zweck wiederentdeckt. Zum Beispiel durch die evangelische Aktion „7 Wochen ohne“. Da machen inzwischen über 2 Millionen Menschen mit. Sie versuchen während der Fastenzeit aus Gewohnheiten auszusteigen, die das Rennen begleiten und mir schaden. Rauchen, Alkohol trinken, Fernsehen, Computerspiele, im Internet surfen, Unwesentliches einkaufen. Natürlich gehört auch das klassische Fasten noch dazu. Also der Verzicht auf bestimmte Speisen wie Fleisch oder Süßes. Ich kann mich auch enthalten von dem Streben, überall Spitzenpositionen einnehmen zu wollen. Wieso muss eigentlich der zweite Sieger immer gleich als erster Verlierer gelten?
Nur wenn ich in den meisten Lebensbereichen ein gesundes Mittelmaß einhalte, kann ich in den bedeutenden Bereichen powern. Nicht überall auf dem Podest landen wollen ist ein kluger Zug für Leute, die sich auf das Wichtige konzentrieren.
Und dafür muss ich mir Raum und Ruhe verschaffen. Weil ich sonst untergehe. Ich versuche zwischendurch mal Dinge zu tun, die ich normalerweise nie täte. Zum Beispiel, mich an die längere Warteschlange anstellen vor der Kasse. Damit ich mehr Zeit habe zum Nachdenken. Oder Danke sagen für den Stau. Weil der mich zur Ruhe zwingt.
In der Winterhälfte war ich oft krank. Eine Infektion jagte die nächste. Kein Arzt wusste so recht, woher das kam. Inzwischen denke ich, dass diese Zwangspausen gar nicht nur schlecht sind. Der gewohnte Trott wurde durchbrochen und ich nutze die Zeit, um nachzudenken. Ich fuhr mein Programm zurück und überlegte, wo ich mich voll einsetzen will, und wo das gar nicht notwendig ist.

Wie kann ich Gewohntes verändern, um innerlich ruhig zu werden? Muss ich dafür gewaltsam gestoppt werden? Wie kann ich das hektische „höher, schneller, weiter“ durchbrechen und das menschlichere Motto leben: „dabei sein ist alles“?
Sogar olympische Geschichten zeigen zwischendurch, wie das geht. Es gibt diese Bilder, wo ein Sportler dem anderen aufhilft, der gestolpert ist, und dadurch Plätze verliert. Offensichtlich existieren doch noch wichtigere Dinge, als zu siegen. Zum Beispiel, jemandem aufzuhelfen.
Halt machen mitten im Rennen, ist manchmal wichtiger, als Erster zu sein. Jemandem zu helfen ist oft sinnvoller, als am anderen vorbei zu laufen. Familie ist wichtiger. Freundschaften pflegen. Oder Gott suchen.
Bei mir waren es oft die Krisen, die mich herausgeholt haben aus dem gewohnten Rennen. Und deshalb empfinde ich Krisen nicht nur als schlecht. Auf einmal merke ich, dass es auch ohne mich weiter geht. Dass auch andere da sind. Ich will sortieren. Für was will ich meine Zeit verwenden? Was ist wirklich wesentlich?
Die vorösterliche Fastenzeit soll die Gedanken der Christen darauf konzentrieren, dass Jesus ein Leben befriedeten kann. Er starb stellvertretend für alle Menschen am Kreuz, um sie von sämtlichen Vorwürfen zu entlasten. Er wurde von Gott am dritten Tag von den Toten auferweckt, um jedem einen stressfreien Weg zu Gott zu ermöglichen. Auch frommer Stress ist nicht mehr nötig. Sondern nur noch Vertrauen in diesen Auferstandenen. Einfach mit ihm leben und zu ihm beten.
Die Fastenzeit vor Ostern erinnert daran, dass Gott mich nicht unter Druck setzt, der Beste zu sein. Er ist auf meiner Seite, ohne zu bewerten. Er macht bei mir Halt, wenn ich schwächele. Unterstützt mich wie ein guter Freund und macht Pause mit mir. Manchmal ruft er mir ins Gedächtnis, was Jesus gesagt hat:
Kommt her zu mir, alle, die ihr euch müht und plagt; ich will euch Ruhe geben!
Ruhe fürs Wichtigere. Zum Beispiel für die Liebe. Denn die bleibt, sagt die Bibel.

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