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Geld als Brücke

Geld als Brücke

Helmut Schlegel
Ein Beitrag von Helmut Schlegel, Franziskanerpater, Exerzitienbegleiter und Geistlicher Begleiter, Frankfurt
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Geld ist nicht zum Anschauen, sondern zum Ausgeben oder zum Anlegen da. Wer sich dennoch die Mühe macht, die verschiedenen Euroscheine einmal genauer anzusehen, wird entdecken: Auf der Rückseite der Scheine sind Brücken verschiedener Epochen abgebildet: aus dem Altertum, dem Mittelalter und der modernen Zeit; ja selbst eine futuristische Brücke fehlt nicht. Die Mütter und Väter des Euro wollten damit wohl ihrer Vision Ausdruck geben: der Euro soll Menschen und Nationen in Europa verbinden. Tatsächlich ist das ökonomisch auch gelungen. Beim Rom-Besuch vor etlichen Jahren konnte ich die Pizza mit Euro bezahlen und hatte nicht den Stress wie früher mit der Lira.

Wir entscheiden, ob Brücke oder Graben

Ich bin kein Ökonom und kenne mich in den Fragen der Finanzmärkte überhaupt nicht aus. Aber die Vorstellung, Geld sei eine Brücke, kommt mir doch sehr gewagt vor. Ist es nicht eher so, dass Geld tiefe Gräben reißt? Gräben, die Menschen teilt in Geldgeber und Geldnehmer, in Arm und Reich, in eine erste, zweite, dritte und sogar vierte Welt? „Geld stinkt nicht“, heißt ein Sprichwort. Stimmt, denn Geld ist nicht mehr und nicht weniger als ein Zahlungsmittel. Ob es zu einer Brücke oder zu einem Graben wird, das entscheiden allein wir Menschen. Es kommt darauf an, wie wir es verdienen und ausgeben, wie wir es anlegen und damit Geschäfte machen. Und das hat mit unseren ethischen Grundsätzen zu tun.

Geld, Silber und Gold in der Bibel

Ich habe nachgesehen, wie oft das Wort Geld in der Bibel vorkommt und fand 136 Stellen im Ersten und im Neuen Testament. Das Wort „Silber“ bringt es gar auf 249 und das Wort „Gold“ auf stolze 328 Treffer.

Musik 1: Antonio Lauro Nr. 2 Cancio de Cuno.

Beim Thema Geld muss ich auch an einen Mann denken, der vor über zweieinhalb tausend Jahren gelebt hat: an den Propheten Amos. Er lebte in der Mitte des 8. Jahrhunderts vor Christus und hat uns eine kleine Schrift in den prophetischen Büchern der Bibel hinterlassen. Amos war ein wohlhabender Mann, er hatte Viehherden und Maulbeerplantagen. Umso mehr wundert mich, wie hart er mit den Reichen seiner Zeit ins Gericht ging: 

„Hört dieses Wort, die ihr die Armen verfolgt und die Gebeugten im Land unterdrückt! Ihr sagt: Wann ist das Neumondfest vorbei, dass wir Getreide verkaufen, und der Sabbat, dass wir den Kornspeicher öffnen können? Wir wollen das Hohlmaß kleiner und das Silbergewicht größer machen, wir fälschen die Waage zum Betrug, um für Geld die Geringen zu kaufen und den Armen wegen eines Paars Sandalen. Sogar den Abfall des Getreides machen wir zu Geld.“ (Amos 8,4-6)

Schon Amos mahnte den gerechten Umgang mit Geld an

Israel war zur Zeit des Propheten Amos ein stabiles und wohlhabendes Land. Das einstige Nomadenvolk war sesshaft geworden und hatte sich zu einem Staatswesen mit einem König und einer Zentralregierung entwickelt. Nach außen hin herrschte lange Jahre Frieden, im Inneren aber gab es soziale Missstände. Der Wohlstand kam nur einem Teil der Bevölkerung zugute. Während die Königsfamilie und die Beamten in der Hauptstadt festliche Gelage feierten, konnten die Bauern auf dem Land kaum das Pachtgeld bezahlen und gerieten immer mehr in Abhängigkeit von den Grundbesitzern.

Doch die Mächtigen wollten nicht hören

Der sprachgewaltige Prophet prangert diese sozialen Missstände in aller Offenheit an und geht mit der Oberschicht ins Gericht. In düsteren Farben prophezeit Amos den baldigen Sturz der Mächtigen. Kein Wunder, dass er prompt deren erbitterten Widerstand erfährt. Man will den Quertreiber nicht hören - und schiebt ihn kurzerhand ab.

Seine Prophezeiungen gehen schon ein Vierteljahrhundert später in Erfüllung. Im Jahre 722 vor Christus zerstört der assyrische König Salmanassar die Hauptstadt Damaskus und macht Israel zu einer assyrischen Provinz. Etwa die Hälfte der Bevölkerung wird in andere Teile des Reiches versetzt. Dafür werden andere Volksgruppen dort angesiedelt.

Musik 2: Antonio Lauro, Nr. 3, Joropo.

Der Prophet Amos hat seine Prophezeiungen nicht erfunden. In seinen Warnungen an die Reichen beruft er sich immer wieder auf Gott:

„So spricht der Herr: Weil ihr vom Hilflosen Pachtgeld annehmt und sein Getreide mit Steuern belegt, darum baut ihr Häuser aus behauenen Steinen - und wohnt nicht darin, legt ihr euch prächtige Weinberge an - und werdet den Wein nicht trinken. (...) Ihr bringt den Unschuldigen in Not, ihr lasst euch bestechen und weist den Armen ab im Tor.“ (Amos 4,11f.)

Gottes Gebote beinhalten eine Sozialordnung und Wirtschaftsethik

In diesen Worten wird deutlich: Gott ist vor allem Anwalt der Gerechtigkeit. Die Gesetzessammlung der Tora, die Mose im Auftrag Gottes dem Volk gibt, ist eine neue und damals geradezu revolutionäre Sozialordnung. Ziel ist ein gutes Leben für alle in Frieden und Solidarität. Wucher und überhöhte Zinsforderungen sind verboten. In der Tora finden wir eine sehr anspruchsvolle Wirtschaftsethik. Ein Zitat aus dem Buch Levitikus:

„Wenn dein Bruder verarmt und sich neben dir nicht halten kann, sollst du ihn, auch einen Fremden oder Halbbürger, unterstützen, damit er neben dir leben kann. Nimm von ihm keinen Zins und Wucher! Fürchte deinen Gott, und dein Bruder soll neben dir leben können.“ (Levitikus 25,35f.)

Musik 3: Jorge Morel, Nr. 5 Danza Brasiliera.

Kein anderer verteidigt das ursprüngliche Ziel des mosaischen Gesetzes - ein gutes und friedliches Leben für alle - so entschieden wie Jesus. Kein Wunder: Palästina war zu seiner Zeit von der römischen Besatzungsmacht geknechtet. Rom brauchte Geld für die Kriege und für das Luxusleben in den Palästen. Nazareth, die Heimatstadt Jesu, liegt in unmittelbarer Nachbarschaft von Tiberias, der Hauptstadt der Region, die Herodes im griechisch-römischen Stil erbaut und nach dem römischen Kaisers Tiberias benannt hatte. Gläubige Juden machten einen Bogen um die Hauptstadt Galiläas und demonstrierten damit ihren Abscheu gegen das Machtgehabe der Besatzer.  

Politik und Bergpredigt - widerspricht sich das?

Die Erfahrung, zu den politischen Verlierern zu gehören, musste auch Jesus machen. Immer wieder kam er auf seinen Wegen an den Zollstationen vorbei. Dort trieben die Römer bei Kaufleuten, Händlern und Lieferanten hohe Zölle ein. Es überrascht, dass Jesus einen der Zöllner in seine Jüngerschar aufnahm und selbst offensichtlich ohne Murren Steuern bezahlt hat. Heute wird in den katholischen Gottesdiensten die folgende Geschichte aus dem Matthäusevangelium gelesen.

„Damals kamen die Pharisäer zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen. Sie veranlassten ihre Jünger, zusammen mit den Anhängern des Herodes zu ihm zu gehen und zu sagen: Meister, wir wissen, dass du die Wahrheit sagst und wahrhaftig den Weg Gottes lehrst und auf niemanden Rücksicht nimmst, denn du siehst nicht auf die Person. Sag uns also: Was meinst du? Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht? Jesus aber erkannte ihre böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler, warum versucht ihr mich? Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denar hin. Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie antworteten ihm: Des Kaisers. Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“ (Matthäus 22,15-21)

Musik 4: Leo Brouwer, Nr. 12, Suite Andante.

„Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen.“ Das hat der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt einmal gesagt. Bis heute vertreten viele diese Meinung. Sie sind überzeugt: Die Gesetze der Finanzwirtschaft beispielsweise sind mit dem Evangelium nicht vereinbar. „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“, sagt Jesus. Verstärkt er damit nicht den Graben zwischen Ethik und Geldwirtschaft? Ich finde, das Gegenteil ist der Fall. Jesus stellt einen Zusammenhang her zwischen Gottesgebot und Geldwirtschaft. Der zweite Teil seiner Aussage lautet: „Gebt Gott, was Gott gehört!“ Will sagen: Es ist eine Gewissensfrage, wie du mit Geld umgehst.  

Mein Gewissen lehrt mich den gerechten Umgang mit Geld

Als Gewissensfrage erlebe ich zunächst meinen persönlichen Umgang mit Geld. Wie gebe ich Geld aus und wofür? In einer Zeit, da die Rohstoffe geringer werden und das Klima umzukippen droht, in einer Zeit, in der wir auf der Erde zusammenrücken und wissen, wie Menschen beispielsweise in den Dürreregionen Afrikas leben müssen, da meldet sich mein Gewissen unüberhörbar. Die Zahl derer, die eine ungebremste Konsummentalität hinterfragen und sich um einen solidarischen Lebensstil bemühen, wächst.

Ich war in diesem Sommer wieder einmal zu Gast auf einer ostfriesischen Insel in der Nordsee. Ich konnte die saubere Luft, die endlosen Strandspaziergänge, die Ruhe und die autofreien Wege genießen. Das tat einfach gut und ich habe nichts vermisst. Am Ende hatte ich das Gefühl: Die kurze Anreise hat den Erholungswert meines Urlaubs gesteigert. Das war ein gutes Gefühl.

Anders reisen, anders einkaufen

Ich bin dabei, mein Einkaufsverhalten Schritt für Schritt zu verändern. Ich habe festgestellt: Mein Mobiltelefon und mein Laptop tun weitaus länger ihre Dienste als es mir die Werbung einreden will. Und spätestens seit dem schweren Unglück im Jahr 2013, bei dem die Rana-Plaza-Fabrik in Bangladesch einstürzte und mehr als 1100 Menschen umkamen, habe ich keine Lust mehr auf Billigklamotten. Ich möchte nicht von den Hungerlöhnen und den schlechten Sicherheitsstandards in fernen Ländern profitieren.

Musik 5: Heraclio Fernandz, Nr. 13, El Diablo Suelto.

Nicht selten höre ich das Argument: Ich als einzelner Mensch kann vielleicht meine Lebens- und Einkaufsgewohnheiten umstellen, aber was ändert das an einer kapitalistisch ausgerichteten Wirtschaft? Der Einwand ist berechtigt, die Fakten zeigen jedoch: Die Einstellung der Bürgerinnen und Bürger und ihr Verhalten verändert auch das politisches Handeln. Ich freue mich über eine Statistik, die ich gefunden habe: Danach hat das Engagement der Zivilgesellschaft in den letzten 20 Jahren enorm zugenommen. Und auch einiges bewirkt.

Mein Verhalten als Einzelner bewirkt Veränderungen

Wenn ich im Supermarkt einkaufe, entdecke ich eine ganze Reihe von Produkten aus dem Fairen Handel. Hier hat sich das Konsumverhalten der Bürgerinnen und Bürger ein gutes Stück weit verändert. Und es hat zu Konsequenzen geführt.

Überrascht war ich beim letzten Besuch in meinem Buchladen: Ein Großteil der Bücher wird nicht mehr in Plastikfolien eingeschweißt, sondern durch eine Papierbanderole zusammengehalten. Auch das ist eine Reaktion auf Proteste der Käufer.

Dank der modernen Informationstechnologie kann ich mich durch ein paar Klicks über Umweltaktionen oder Proteste gegen Sozialabbau informieren. Ich finde zivilgesellschaftliche Internetplattformen wie Attac, change.org oder Campact. Nicht alle Aktionen gefallen mir, aber ich unterstütze gerne jene, die ich für richtig halte. So zum Beispiel die Petition für die Vermögensabgabe der Superreichen oder den Protest gegen die Plastikflut, der inzwischen in der Europäischen Union viele Verbündete fand.

Aktionen, hinter denen ich stehe, aktiv unterstützen

Als ich vor zwanzig Jahre die Leitung unserer Ordensprovinz übernahm, hab ich unseren Ökonomen gefragt: Wo ist unser Geld angelegt? Antwort: Unsere Bank ist zuverlässig und sorgt dafür, dass wir gute Renditen haben. Mir wurde bald bewusst: Das genügt nicht. Geldanlagen sind heute mehr denn je eine Frage der Ethik. Wir haben dann in unserer Ordensprovinz mit Hilfe von Fachleuten einen detaillierten Kriterienkatalog erarbeitet. Wir verpflichteten unsere Hausbank, Gelder der Ordensprovinz auf keinen Fall beispielsweise in Rüstungsgüter, Biozide, Embryonenforschung, Tierversuche oder in Unternehmen, die mit Kinderarbeit und schlechten Sozialstandards Profite machen, zu investieren. Ein paar Jahre später waren wir einen Schritt weiter: Wir investierten gezielt in nachhaltige Projekte. Schon damals gab es Rating-Agenturen, die Länder und Unternehmen nach den Kriterien der Umweltverträglichkeit, Sozialverträglichkeit und Kulturverträglichkeit durchleuchteten.

In Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit investieren 

Das Argument, dass nachhaltige Investitionen weniger an Rendite bringen, stimmt längst nicht mehr. Geldanlagen beispielsweise in erneuerbare Energien sind zum Renner geworden. Nicht zuletzt im Corona-Crash hat sich gezeigt, Nachhaltigkeit zahlt sich auch langfristig aus. Auch Börsianer berichten immer öfter, dass die Kunden ihr Geld nachhaltig und umweltschonend anlegen wollen.

Musik 6: Jorge Morel, Nr. 4, Prelude for Olga.

„Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört.“ Jesus lässt keinen Zweifel daran: Der Staat hat ein Recht, Steuern einzuziehen und die Bürger*innen so in die Pflicht für das Gemeinwohl zu nehmen. Aber darauf beschränkt sich auch sein Recht. Darüber hinaus gibt es einen Bereich, der „Gott gehört“. Die Botschaft der Propheten ist deutlich: Es geht um die Gerechtigkeit und die menschliche Würde. Es geht auch um die Unversehrtheit der Schöpfung. Geld, Kapital und Wirtschaftswachstum müssen diesen Werten dienen, nicht umgekehrt.

Da wäre Jesus mitten unter ihnen

Vor einigen Wochen sah ich auf Facebook die Bilder der Gruppe „Ordensleute für den Frieden.“ Seit 30 Jahren halten sie monatliche Mahnwachen vor einer Großbank in Frankfurt. Es gelang ihnen, als Vertreter der Kritischen Aktionäre auf der Jahreshauptversammlung dieser Bank eine eindringliche Rede zu halten. - Als ich das las, dachte ich: Genau da wäre Jesus heute zu finden.

Musik 7: Ariel Ramirez, Nr. 15, Alfonsina y el Mar.

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