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Rod Steward:"Sailing"
Pixabay/Peter Kraayvanger

Rod Steward:"Sailing"

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau
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hr1 Sonntagsgedanken-Sommerreihe "Mit Popsongs auf Sinnsuche: Aufbruch"

Ich segle, ich segle, wieder nach Hause, übers Meer,
ich segle bei stürmischen Wassern um dir nah zu sein und frei

Zuerst höre ich die Gitarre, dann sehe ich das Wasser, eine Brücke, Möwen im Flug. Und dann: Rod Stewart. Im weißen Matrosenanzug lehnt er an der Reling eines Schiffes, das gerade abgelegt hat. Im Hintergrund die Skyline von Manhattan. 1975 dreht Rod Stewart mit ‚Sailing‘ eines der ersten Musikvideos für den Sender MTV.

Rod Stewart schaut melancholisch, obwohl er sein Matrosenkäppi keck schief aufgesetzt hat. Was für ein Bild, aber noch viel mehr: was für eine Stimme! Rod Stewart sagt über Rod Stewart: ‚Ich habe eine interessante Stimme, das hört man – es gibt keine vergleichbare Stimme.‘ Da hat er recht. Die ‚Reibeisenstimme‘ ist sein Markenzeichen. Sie macht aus einem erfolglosen Song einen Hit für ihn: Sailing.

Das Lied stammt ursprünglich vom britischen Duo ‚Sutherland Brothers‘. Durch Rod Stewart wird es zum Nummer-Eins-Hit weltweit.
Rod Stewarts Stimme vermittelt das Grundgefühl des Songs auf unvergleichliche Weise: Sehnsucht.

Mit ‚Sailing‘ singt Rod Steward vielen aus dem Herzen.  Auch wer noch nie selbst die Segel gesetzt hat, bekommt da Sehnsucht nach Meer.

Wie plätscherndes Wasser klingt das Gitarren-Intro und lockt seit den 70gern die Leute auf die Tanzfläche. I am sailing home again - Mit seiner Stimme ruft Rod Stewart die Sehnsucht  wach. Das klingt nach Fernweh und Heimweh zugleich.

Rod Steward kann das so gut zum Ausdruck bringen, weil’s ihm genau so geht. Er ist aus Groß-Britannien in die USA ausgewandert. – Aber jetzt bekommt er doch Heimweh nach good old England.

Segeln, das heißt frei sein, in die Ferne gehen. Und dann doch Nähe brauchen, Geborgenheit suchen – Home again …

Auf der Tanzfläche kann man zu diesen Gefühlen abheben. – In der nächsten Strophe fliegt auch Rod Steward.

Ich fliege, ich fliege, wie ein Vogel, übers Meer.
Ich fliege, durch hohe Wolken, um bei dir zu sein und frei.

Auf der Tanzfläche zeigt sich Nähe und Freiheit. Manche tanzen eng umschlungen, manche wie von Wellen getragen. Andere spannen die Arme wie Flügel aus, suchen den Wind, wohin er sie auch trägt.

Das sind so meine Erinnerungen an die Klassenfeten der 70ger mit ‚Sailing‘: Der Raum wurde abgedunkelt, wir haben getanzt mit der Sehnsucht nach Nähe und Freiheit.

Sich beschwingt fühlen. Einfach mal die Flügel ausspannen und losfliegen. Bis über die Wolken. Hochfliegende Träume haben, und es wagen sie umzusetzen. So der Freiheit, die ich suche, näherkommen.

Mich haben beim Tanzen vor allem diese Fragen bewegt: - ‚Findet sie mich auch so toll wie ich sie? Ob das was wird mit uns?‘ Und manchmal auch: ‚Finde ich überhaupt jemand, bei dem ich landen kann und mich zu Hause fühle?‘

Ich habe davon geträumt, wie mein Leben nach der Schule sein würde. Da war die Sehnsucht: Meine Lebensreise soll gut werden, auch wenn ich nicht genau wusste, wie. Aber irgendwie hoch fliegen, das wollte ich.

Mit dem Fliegen ist das aber so eine Sache. Da gibt es auch Ikarus, den jungen Mann aus der griechischen Sagenwelt. Er fliegt mit selbstgebauten Flügeln los. Versehen mit guten Ratschlägen des Vaters: komm der Sonne nicht zu nahe. Wag nicht zu viel. Ikarus fliegt immer höher. Zu nahe an der Sonne schmilzt das Wachs, das die Federn seiner Flügel zusammenhält. Ikarus stürzt ab.

Das kann passieren. Träume zerplatzen. Das wusste ich schon mit sechzehn und auch vierzig Jahre später kann das passieren. Auf die Träume von damals schaue ich nicht resigniert, sondern mit viel Respekt. Denn eine Liebe finden und leben können, das ist in jedem Lebensalter eine Herausforderung. Ob die Lebensreise gelingt, mein Leben Sinn hat – diese Fragen stellen sich in jedem Lebensalter. Und die Angst davor reinzufallen kennt keine Altersbegrenzung.

Statt abheben reinfallen. Statt himmelhoch jauchzend zu Tode betrübt. Was dann? Jetzt klingt ‚Sailing‘ wie ein Schrei nach Hilfe.

Kannst Du mich hören? Kannst du mich hören? Durch die dunkle Nacht, so weit weg.
Mir ist sterbenselend, alles ist zum Heulen, will nur bei dir sein – wie ist das möglich?


‚Can you hear me?‘ Hörst du mich?

 

Rod Stewart ist aufgestanden, seine Matrosenmütze hat er abgenommen. Wie zum Gebet. Zwei Mal singt er diese Strophe. Musikalisch tritt der Bass deutlicher hervor. Das verstärkt den Hilferuf. Macht ihn eindringlicher.

‚Hörst Du mich?‘ - Ich denke an eines der Klagegebete des Alten Testaments: ‚Aus der Tiefe, Herr, rufe ich zu dir! Höre auf meine Stimme!‘

Wie sich die Worte gleichen. – Das ist wohl einer der Gründe, warum viele ‚Sailing‘ inzwischen auch im Gottesdienst gerne singen. Und so steht der Song auch in einem neuen Evangelischen Gesangbuch.

Sailing drückt Sehnsucht nach Ferne und Heimat zugleich aus, die über den Horizont hinausgeht. Zu allen Zeiten sehnen sich Menschen nach einer Nähe, die alle Ferne aufhebt. Gerade in den dunklen Tiefen des Lebens suche ich nach Hilfe, nach Antworten.

Das Leben in der Spannung zwischen Fernweh und Heimweh. Der Ruf nach Hilfe  – nach Nähe und Freiheit. Da kann ich gut mit einstimmen, und andere offenbar auch.

Nach einem Solopart, in dem die E-Gitarre die Stimme und die Stimmung nachklingen lässt, wechselt Rod Stewart in der letzten Strophe vom ‚Ich‘ zum ‚Wir‘. Die Frage nach dem Sinn der Lebensreise teilen alle Menschen.

Wir segeln, wir segeln, wieder nach Hause, übers Meer.
Wir segeln bei stürmischen Wassern um bei dir zu sein und frei.
Oh mein Gott, um dir nahe zu sein und frei

Das klingt wie ein Gebetsruf, nach Hoffnung auf Gott. ‚O Herr, um dir nahe zu sein und frei.‘ -  ‚Sailing‘ wird zum Ausdruck des Glaubens.

In den Internet-Kommentaren zum Video erzählen Menschen, was das Lied für sie bedeutet. Zum Beispiel:  ‚Ich denke bei ‚Sailing‘ an meinen Vater, der gestorben ist, als wäre er weggesegelt, und bin traurig.‘ – Ein anderer schreibt: ‚Sailing ist wie losfahren und wiederkommen. Wie leben und sterben … Bruder,  – wir sehen uns im Himmel.‘

Das berührt mich. Das Lied wird zur Sehnsucht nach Aufhebung aller Grenzen. Nach Geborgenheit bei Gott, im Leben jetzt und darüber hinaus.

‚Can you hear me?‘ Kannst du mich hören, Gott? – Für mich ist ein Gebet der Bibel wie eine Antwort auf diese Frage:

"Nähme ich Flügel der Morgenröteund bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort deine Hand mich finden und deine Rechte mich halten."

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