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Aus den Augen, nicht aus dem Sinn
Bild: Candid-Shots/Pixabay

Aus den Augen, nicht aus dem Sinn

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Seltsam war dieser Tag, weiß ich bis heute. Der Tag war schön, aber auch eigenartig. Gleich dreimal bin ich einem Mann begegnet. Ich kenne ihn gar nicht. Aber er fällt auf. Deswegen habe ich ihn bis heute nicht vergessen. Klein ist er, sehr dick und hatte eine Mütze auf. Irgendwas mit Eishockey war auf der Mütze.

Ich begegnete dem Mann dreimal

Das erste Mal sah ich ihn, als er Schokolade aß an einer Haltestelle. Als ich von meinem Einkauf zurückkam, stand er an einem Baum und hielt sich fest. Das dritte Mal war dann abends. Da stieg er in den Bus ein und fuhr nur eine Haltestelle weit. Dabei war er immer mit sich beschäftigt. Entweder rutschte seine Hose oder er bekam kaum Luft oder er hatte Schokolade um seinen Mund. Ich weiß nicht, ob andere Menschen das auch gesehen haben. Ich habe ihn gesehen. Und nicht mehr vergessen. Vielleicht hat die Welt ihn vergessen, dachte ich bei mir.

Auf manche gibt ja kaum noch jemand acht

Auf manche gibt ja kaum noch jemand acht. Oder niemand mehr. Sie haben einfach keinen. Oder sie kennen Menschen, die aber weit weg sind oder zu beschäftigt. Dann wirken manche eben, als habe die Welt sie vergessen. Sie benehmen sich auch so; achten kaum mehr auf sich. Auf ihren Körper, ihre Kleidung. Das ist keine Absicht. Wer sich vergessen fühlt, vergisst bald auch sich selber. Das ist fast zwangsläufig. Niemand passt mehr auf ihn auf, da passt ein Mensch bald auch selber nicht mehr auf sich auf. Warum auch, denkt er sich vielleicht. Ist doch sowieso egal.

Es darf nicht sein, dass Menschen vergessen werden

Nein, ist es nicht. Es darf nicht sein, dass Menschen vergessen werden. Auch der nicht, den ich an dem seltsamen Tag gleich dreimal gesehen habe. Ich hätte gerne etwas für ihn getan. Ich war aber immer zu überrascht, ihn schon wieder zu sehen. Und als ich noch nachdachte, ob ich ihn etwas fragen soll, war er schon wieder weg. Aus meinen Augen, aber nicht aus meinem Sinn. Darin ist er bis heute. Ich soll ihn wohl nicht vergessen, sagt mir das.

Ich soll an andere denken

Ich soll an Menschen denken, die schon wie von der Welt vergessen sind. Ich soll meine Hände falten und sie wenigstens Gott anbefehlen. Bitte, Gott, ich kann es gerade nicht – achte Du doch auf die, die sonst niemand mehr beachtet. Vergiss sie nicht. Du bist doch unser Hirte.

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