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Als ob!

Als ob!

Anke Jarzina
Ein Beitrag von Anke Jarzina, Katholische Pastoralreferentin in der Pfarrei St. Peter und Paul in Wiesbaden
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„Als ob!“ So kommentiert meine Tochter seit Neuestem Dinge, über die sie sich wundert oder die sie nicht erwartet hat. „Als ob!“ – Darauf folgt kein ergänzender Satz mehr, sondern die Bedeutung muss sich dem Zuhörer aus dem Zusammenhang erschließen. „Als ob!“ Das wirkt auf mich erst mal irgendwie unvollständig. Aber es genügt jungen Leuten offenbar, um ihrem Erstaunen Ausdruck zu verleihen. Dabei wird das, worum es geht, gar nicht als unglaubwürdig eingestuft, im Gegenteil. „Als ob!“ heißt heute nicht mehr „Als ob dieser Blödsinn wahr wäre!“, sondern bedeutet eher sowas wie „Wahnsinn, was es alles gibt!“.

Einfach so tun, als ob

„Als ob“ hab ich auch neulich als Überschrift in einer Zeitschrift gelesen. In dem Artikel ging es um das Glück und darum, ob und wie man es erlangen kann. Spannend fand ich folgende Anregung: Um glücklich zu werden soll ich mal einen Tag lang so tun, als ob ich so richtig rundum glücklich wäre – und dann beobachten, was das mit mir macht. Ich hab mir gedacht: „Als ob!“ – und es einfach mal ausprobiert. Beim ersten Mal hat es nicht geklappt. Ich war einfach zu müde und hatte keine Lust auf Experimente. Aber der Gedanke ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Und in den folgenden Tagen hab ich, ohne dass ich es mir wirklich vorgenommen hatte, immer wieder mal gedacht: „Als ob!“ Dann hab ich so getan, als ob ich glücklich wäre, es mir rundum gut ginge und es nichts gäbe, was mir noch zu meinem Glück fehlen würde. Der Effekt war erstaunlich: Plötzlich hat mir die lange Schlange an der Supermarktkasse gar nichts mehr ausgemacht, und auch das Regenwetter kam mir auf einmal nicht mehr mies und schmuddelig vor, sondern irgendwie gemütlich. Ich war den ganzen Tag über besser gelaunt – allein deshalb, weil ich mir vorgestellt hatte, dass ich es bin! Das ist doch verrückt - und es hat fast schon etwas von Selbsthypnose, finde ich.

Gib dem ganzen einen neuen Rahmen

Gleichzeitig: So verrückt ist es auch wieder nicht. Es liegt doch auf der Hand: Wenn ich meine Perspektive ändere, dann ändert sich das, was ich sehe. Einiges gerät aus meinem Blickfeld und anderes fällt mir ins Auge, was mir vorher gar nicht bewusst war.

Die Perspektive wechseln, sich die Dinge mal aus einem anderen Blickwinkel heraus anschauen – das nennt man in der Psychologie „Reframing“. Das, was ist und was mir geschieht, bekommt einen neuen Rahmen – und plötzlich erscheint es mir in einem ganz anderen Licht.

Suche Möglichkeiten, besser zu sehen und zu verstehen

Mir fällt dazu eine berühmte Perspektivwechsel-Geschichte aus der Bibel ein, nämlich die von Zachäus, dem Zöllner (vgl. Lukasevangelium 19, Verse 1-10). Zachäus war ein jüdischer Zollpächter und lebte in Jericho. Wegen seines Berufs als „Finanzbeamter“ war er in der Gesellschaft nicht gerade beliebt. Sein Job war es, den Menschen im Auftrag der Römer das Geld wegzunehmen. Zöllner galten als Verbrecher – weil sie oft überhöhte Abgaben forderten und Gelder unterschlugen. Zachäus muss ein besonders schlimmer Finger gewesen sein, denn „er war der oberste Zollpächter und war reich“ (Lukasevangelium 19,2). Aber: Als er davon hört, dass Jesus in seine Stadt kommt, will er ihn auch mal sehen. Vielleicht hatte er davon gehört, dass sich dieser Jesus vor allem mit Leuten abgibt, mit denen die „normale“ Gesellschaft nichts anfangen kann. Mit denen, die von anderen verachtet und gehasst werden. Mit denen, die das Etikett „Sünder“ aufgeklebt bekommen haben. Vielleicht hatte Zachäus auch einfach die Nase voll von dieser sozialen Isolation und wollte endlich mal wieder ein normaler Mensch unter Menschen sein. Also mischt er sich unter die Menge und muss betreten feststellen: Er ist zu klein, um über die vielen Köpfe hinweg Jesus zu sehen. Er hätte enttäuscht umkehren und sich denken können: „So ein Mist! Die blöden Leute versperren mir die Sicht und lassen mich nicht durch! Ich geh lieber wieder nach Hause Geld zählen.“ Stattdessen wechselt er seine Perspektive, sucht nach einer Möglichkeit, anders, besser zu sehen: Er klettert auf einen Baum – und tut damit in gewisser Weise so, als ob er einer von den Menschen wäre, die Jesus sehen können. Er tut so, als ob er groß wäre, sogar größer als alle anderen.

Trau dich, die Perspektive zu wechseln

Als ob! Als Jesus dann an dem Baum vorbeikommt, sieht Zachäus ihn tatsächlich. Und: Jesus sieht auch ihn. Vielleicht sieht er auch die Sehnsucht dieses kleinen Mannes nach sozialer Anerkennung und wahrhaftiger Zuneigung. Er begrüßt ihn jedenfalls mit seinem Namen und sagt: „Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben.“ Zachäus freut sich natürlich total, damit hatte er nicht gerechnet. Klar, dass das auch Neider auf den Plan ruft. In der Bibel heißt es dann: „Alle, die das sahen, empörten sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt.“ (Lukasevangelium 19,7) Für Jesus allerdings spielt die Schublade „Sünder“ keine Rolle. Er tut vielmehr so, als ob es die gar nicht gäbe.

Die Geschichte von der Begegnung von Jesus und Zachäus zeigt im Grunde auf zwei Arten, wie sich tatsächlich alles ändern kann, wenn ich mal so tue, „als ob“: Zachäus tut so, als ob er ganz normal zur Gesellschaft dazugehören würde und auch einer dieser an Jesus interessierten Menschen wäre – obwohl er doch eigentlich in der Schublade „reicher Zöllner“ steckt. Und Jesus tut so, als ob diese Schublade nicht existieren würde. Nur deshalb können die beiden sich sozusagen auf Augenhöhe begegnen und das als gegenseitige Bereicherung empfinden.

Plötzlich auf Augenhöhe

Ich finde es echt beeindruckend, wie empathisch und mitfühlend Jesus ist: Er weiß ganz genau, was den Menschen vor ihm bewegt und umtreibt. Er kann in seine Schuhe schlüpfen, sich in seine Haut einfühlen – und zwar so unmittelbar, dass ich das Gefühl habe: Er wird in gewisser Weise zu diesem Menschen. Das ist doch auch eine Art von „Reframing“, von Perspektivwechsel: Ich tue so, als ob ich dieser andere Mensch wäre.

Was fühle ich dann? Was denke ich? Wonach sehne ich mich? Was brauche ich? Menschen so zu begegnen – darin ist Jesus ein Vorbild für mich, auch wenn ich das nicht auf dieselbe Art kann wie er. Ehrlich gesagt: Wenn ich mit anderen zusammen bin oder sie kennenlerne, ist das manchmal eine ganz schöne Herausforderung: Alle Etiketten vergessen und so tun, als ob die gar nicht da wären.

Raus aus den inneren Schubladen

Aber: So ein Perspektivwechsel kann tatsächlich richtig glücklich machen! Wenn ich es über mich selber sage: „Ich tu jetzt mal so, als ob ich glücklich wäre.“ Und auch, wenn ich es über andere sage: „Ich seh dich jetzt mal so, als ob ich du wäre und vergesse meine Vorurteile und inneren Schubladen.“ So oder so: Wenn mir das gelingt, merke ich, wie bereichernd und schön Begegnung sein kann - und ich merke, wie bereichernd und schön der Mensch hinter der Fassade ist. Das ist dann manchmal so unerwartet, dass ich freudig überrascht nicht anders kann als zu denken: „Als ob!“

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