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Wahrheit befreit
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Wahrheit befreit

Till Martin Wisseler
Ein Beitrag von Till Martin Wisseler, Evangelischer Pfarrer, Langenselbold
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Eigentlich will Thomas vor der Fahrt in den Urlaub nur noch eben schnell etwas einkaufen. Wirft sich die Jacke über, nimmt den Autoschlüssel und los geht‘s. Dumm nur, dass der Weg zum Supermarkt über die Nebenstraßen mittendrin blockiert ist. Das hat gerade noch gefehlt. Also doch über die Hauptstraße; die ist zwar voller, aber jetzt vielleicht doch schneller. Rückwärtsgang. Es kommt wie es kommen musste. Beim Wenden übersieht er den schmalen Pfosten in der Einfahrt eines Grundstücks. Er hat ihn weder im einen noch im anderen Spiegel gesehen. Er steigt aus und sieht den Kratzer am Auto. Und der Pfosten ist aus der Verankerung gerissen; auch das noch, das hätte nicht passieren dürfen. Thomas weiß, dass er für den Schaden verantwortlich ist. Gleichzeitig merkt er, wie er dabei ist, seinen Fehler zu relativieren: Vielleicht hat der Pfosten ja vorher schon gewackelt. Und er versucht, die Verantwortung abzugeben: Darf man einen Pfosten überhaupt so nah an den Straßenrand setzen? Es wäre ja nichts passiert beim Wenden, wenn der Pfosten da nicht gestanden hätte. Naja, vielleicht hat es ja auch niemand gesehen, und später könnte man dann immer noch ... aber nein, Fahrerflucht kommt gar nicht in Frage. In ihm eine stumme Diskussion um Schuld und Verantwortung.

Aber es ist passiert, was passiert ist und es war sein Fehler. Was nun? Thomas erinnert sich an einen Satz, den er vor Kurzem erst in einer Sonntagspredigt gehört hatte: Steht zur Wahrheit und ihr werdet erkennen, die Wahrheit wird euch freimachen. (Evangelium des Johannes, Kapitel 8, Verse 31-32). Eigentlich ging es um ein religiöses Thema im Urchristentum und nicht um einen Pfahl, ein Auto und einen Schaden. Aber jetzt von diesem inneren Druck der Schuld befreit zu sein, das wäre schon gut. Thomas fasst sich ein Herz und macht den Besitzer des Grundstücks ausfindig. Er wählt seine Nummer und sagt dann die Wahrheit. Gemeinsam begutachten sie den Schaden und vereinbaren die Regulierung. Es fühlt sich gut an, zur Wahrheit gestanden zu haben und nicht geflohen zu sein. Jetzt kann sich Thomas wieder frei über die Nebenstraßen bewegen, ohne dass er ein schlechtes Gewissen haben muss. Was er in der Sonntagspredigt gehört hatte, hat sich hier im Alltag bewährt. Steht zur Wahrheit und ihr werdet erkennen, die Wahrheit wird euch frei machen.

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