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Mit Popsongs auf Sinnsuche: Heldengeschichten
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Mit Popsongs auf Sinnsuche: Heldengeschichten

Johannes Meier
Ein Beitrag von Johannes Meier, Evangelischer Pfarrer und Journalist, Kassel

The Chainsmokers & Coldplay: Something just like this

Gut vier Kilo müssen noch runter. In zwei Wochen geht’s an den Strand – und diese Speckröllchen an der Hüfte gehen mal gar nicht. Wahrscheinlich hilft jetzt nur noch das Power-Workout aus der Men’s Health. Mann, so’n Waschbrettbauch wie der Idiot auf dem Cover müsste man haben!

I’ve been reading books of old
The legends and the myths
Achilles and his gold
Hercules and his gifts
Spiderman’s control
And Batman with his fists
And clearly I don’t see myself upon that list

Ich hab all die alten Bücher gelesen
Die Legenden und Mythen
Achilles und sein Gold
Herkules und seine Gaben
Spidermans Körperbeherrschung
Und Batman mit seinen Fäusten
Aber ich selbst gehöre eindeutig nicht auf diese Liste

Alle 11 Minuten verliebt sich irgendeine Frau in diesen smarten Fünf-Tage-Bart auf dem Parship-Plakat neben der Bushaltestelle. Kein Wunder, so wie der aussieht. Die attraktive Endzwanzigerin, die mich ein paar Meter weiter von der Litfaßsäule herab anlächelt, hat angeblich das gleiche Problem. Nur umgekehrt natürlich. Und, klar, ich wär auch dabei, so charmant wie sie herüberschaut. Aber bestimmt steht die nur auf Kerle wie den großformatigen Hipster-Beau da drüben. Da hätte ich eh keine Chance. Wir spielen einfach nicht in derselben Liga.

But she said, where’d you wanna go?
How much you wanna risk?
I’m not looking for somebody
With some superhuman gifts
Some superhero
Some fairytale bliss
Just something I can turn to
Somebody I can kiss

Aber sie sagte: „Wo willst du denn eigentlich hin?“
„Wieviel willst du riskieren?“
Ich suche niemanden
mit irgendwelchen übermenschlichen Kräften
Keinen Superhelden,
Kein Glück wie im Märchen
Nur etwas, worauf ich mich verlassen kann
Jemanden, den ich küssen kann“
Genau sowas will ich haben!

I want something just like this
Doo-doo-doo, doo-doo-doo…

Kann das wirklich wahr sein? Ich muss mich nicht abstrampeln, um gut anzukommen? Hier zählt nicht bloß der King of Kotelett, sondern auch der ganz normale Nette von nebenan?
Wenn das wahr ist, dann fällt eine Riesenlast von meinen Schultern. Ich fühle mich leicht. Ist das Liebe? Komm wir tanzen!

Oh I want something just like this…

Farbexplosionen aus allen Lichtkanonen! Konfetti! Sänger Chris Martin hüpft dazu über die Bühne. Er sucht die Nähe zum Publikum, springt von der Rampe, mischt sich mitten unter die Fans und tanzt mit Ihnen. Einfach zusammen Party machen. Ja, genau sowas will ich haben.
So präsentierte die Band Coldplay zusammen mit dem DJ-Duo The Chainsmokers diesen Song zum allerersten Mal bei den BRIT Awards 2017. Es sollte ihre Hitsingle des Jahres werden, nicht mehr wegzudenken aus den Disko- und Radiolautsprechern, bis heute. Einfach ein Gute-Laune-Song zum Abtanzen.
Dabei fängt das Ding ja ziemlich ruhig, fast schon bedächtig an, wenn Chris Martin mit sonorer Stimme von den alten Büchern singt, die er gelesen hat. Tatsächlich hat der Coldplay-Frontmann mal Alte Geschichte am University College London studiert und kennt sich wohl aus mit den Helden der Antike, mit Achilles und seiner goldenen Rüstung zum Beispiel oder mit dem Halbgott Herkules. Und dann sind da ja noch die modernen Superhelden, Spiderman, Batman… Mit der persönlichen Assistentin von Ironman war Chris Martin sogar mal verheiratet! Also mit der Schauspielerin Gwyneth Paltrow. Die beiden haben zwei gemeinsame Kinder und waren über zehn Jahre ein Paar. Immerhin. Ein echtes Superpaar: Sie erfolgreiche Hollywoodschauspielerin, er ein Popstar, der mit seiner Band rund um die Welt tourt und die Stadien füllt.

Eine Liebesgeschichte wie ein „fairytale bliss“, wie ein Märchen – aber ohne Happy End: Seit Juli 2016 sind Paltrow und Martin offiziell geschieden. Chris Martin spricht offen über seine Trauer angesichts der gescheiterten Ehe: „An vielen Tagen wache ich immer noch auf und fühle mich niedergeschlagen. Aber allmählich fühlt es sich so an, als ob ich einen Weg finden könnte, darüber hinwegzukommen,“ erzählt er in einem Interview.
Klingt sehr menschlich, finde ich. Auch so ein Superstar ist eben doch kein Superheld.

I’ve been reading books of old
The legends and the myths
The testaments they told
The moon and its eclipse
And Superman unrolls
A suit before he lifts
But I’m not the kind of person that it fits

Ich hab all die alten Bücher gelesen
Die Legenden und Mythen
Die Testamente, die erzählt wurden
Vom Mond und seiner Finsternis
Und Superman zieht sich immer
diesen Anzug an, bevor er abhebt
Aber ich bin nicht Derjenige, dem er passt

Oh ja, das kann ich gut nachvollziehen: In so eine Superhelden-Pelle wie den hautengen Spiderman-Anzug möchte ich mich auch nicht zwängen. Das sähe reichlich bescheuert aus. Damit würde ich mich höchstens lächerlich, aber bestimmt nicht zum Helden machen. Es gibt ja wohl tatsächlich ein paar Leute, die sich so sehr mit den Superheros aus den Comicheften und Kinoblockbustern identifizieren, dass sie nachts verkleidet losziehen, um kostümiert irgendwelche Heldentaten zu vollbringen. Im Fernsehen habe ich mal eine Dokumentation über diese schrägen Vögel  gesehen.  Da  war  allerdings  eher  Fremdschämen  angesagt  oder  fast  schon  Mitleid, angesichts solch bizarrer Selbstüberschätzung.

But she said, where’d you wanna go?
How much you wanna risk?
I’m not looking for somebody
With some superhuman gifts
Some superhero
Some fairytale bliss
Just something I can turn to
Somebody I can kiss

Aber sie sagte: „Wo willst du denn eigentlich hin?“
„Wieviel willst du riskieren?“
Ich suche niemanden
mit irgendwelchen übermenschlichen Kräften
Keinen Superhelden,
Kein Glück wie im Märchen
Nur etwas, worauf ich mich verlassen kann
Jemanden, den ich küssen kann“
Genau sowas will ich haben!

I want something just like this…
I want something just like this…

Genau sowas will ich haben! Genau Dich will ich haben! Dich – und keinen anderen. Du musst Dich nicht verstellen, Du musst mir nichts vormachen. Ich mag Dich so, wie Du bist. – Das ist die gute Botschaft im Song von Coldplay und den Chainsmokers, das ist der gesungene Aufruf um befreit abzutanzen.
Aber auch zum Abtanzen braucht es manchmal Mut. Ich weiß noch, wie ich mich in der Disko oder bei mancher Party lange neben der Tanzfläche im Halbdunkel herumgedrückt und möglichst cool und lässig an meiner Cola- oder Bierflasche festgehalten habe. Jetzt da raus und einfach tanzen? Viel zu peinlich… Bis mich dann Eine einfach am Arm gepackt und ins Getümmel gezogen hat. Sie suchte keinen Superman, sie meinte mich. Und irgendwie ging’s dann wie von selbst. War doch in Wahrheit auch völlig egal, wie man dabei aussah oder sich bewegte. Niemand verteilte hier Haltungsnoten. Nichts war peinlich. Und plötzlich fühlte es sich gut und richtig an.
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ – So lautet ein Segenswort Gottes in der Bibel. – „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ – Das geht nicht über die Köpfe hinweg, das meint wirklich mich, das trifft mitten ins Herz. „Du bist mein!“ – Jeder Mensch ein Auserwählter. Einzigartig und besonders. Begabt und liebenswert. Genau sowas, genau Dich will ich haben!
Es braucht etwas Mut, diese frohe Botschaft an sich heran zu lassen. Meinen Schutzpanzer abzulegen, der mich ja doch nicht zum Helden gemacht hat, der mich nur vor Verletzungen da draußen schützen sollte. Aber den brauche ich jetzt nicht mehr. Der stört doch nur beim Tanzen!

Where’d you wanna go?
How much you wanna risk?
I’m not looking for somebody
With some superhuman gifts
Some superhero
Some fairytale bliss
Just something I can turn to
Somebody I can kiss
I want something just like this
Oh, I want something just like this…

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