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Rollenwechsel
Bild: David Mark/Pixabay

Rollenwechsel

Carmen Jelinek
Ein Beitrag von Carmen Jelinek, Evangelische Dekanin, Kirchenkreis Kaufungen
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Sehr interessiert habe ich den Bericht von einem Intensivmediziner gelesen. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn. Plötzlich erkrankt er schwer: Die Diagnose lautet Knochenmarkkrebs.

Eine schreckliche Diagnose

Trotz seiner medizinischen Erfahrung ist er darauf genauso wenig vorbereitet wie die meisten anderen Patienten. Er ist wie vor den Kopf geschlagen. Kann es nicht fassen, hat Angst vor der Behandlung und natürlich auch die Sorge, dass er sterben wird.

Nun muss er auch lernen: Warten auf Pflegende, auf Ärzte, auf die Blutentnahme, die Knochenmarkpunktionen, die Infusionen, die Chemotherapien und letztlich die Stammzellentransplantation.

Sein Körper fühlt sich zerbrechlich an und sein Geist ist unruhig. Die möglichen Nebenwirkungen der Chemotherapien gehen ihm nicht aus dem Kopf.

Der Arzt als Patient

Um ruhig zu werden,lernt er zu meditieren. Gleichzeitig erlebt er den ihm so vertrauten Klinikablauf aus der Sicht eines Patienten ganz neu. Am eigenen Leib spürt er, wie dankbar ein Patient jedes aufmunternde Wort und jede freundliche Geste in sich aufnimmt. Plötzlich wird ihm klar, wie unachtsam dahingesagte Worte Menschen im Ausnahmezustand verunsichern.

Ihm wird deutlich, dass es neben der großen medizinischen Leistung unbedingt darauf ankommt, den Kranken als Mensch zu begegnen und achtsam zu kommunizieren. Das ist nicht so einfach, wie es sich anhört.

Er entdeckt manches neu

Er selbst ist der großen Maschinerie von medizinischen Anforderungen, Kostendeckung und Zeitdruck durch seine Krankheit entkommen. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich nicht mehr als Getriebener, der von einer Aufgabe zur nächsten hetzt. Seine Familie ist ihm noch wichtiger geworden und Hobbies, denen er einfach so nachgeht.

Seine Kenntnisse und Erfahrungen bringt er in Büchern, medizinischen Zeitschriften und an der Uni ein.

Jeder Tag ist kostbar

Verloren hat er allerdings die Selbstverständlichkeit, mit der er bisher sein Leben gelebt hat. Jeder Tag ist kostbar. Seine meditativen Übungen macht er weiter. Er versucht vom Ende her zu denken und gelassen zu werden. "Mit wechselndem Erfolg", sagt er.

Anderen einfühlsam begegnen

Ich hoffe, dass dieser Mediziner mit seinen Gedanken viele seiner Kolleginnen und Kollegen anspricht. Und nicht nur die. Es gibt so viele Menschen in Ausnahmezuständen, die es verdient haben, dass ihnen ihre Mitmenschen einfühlsam und menschlich begegnen. Menschen, die nicht nur einfach handeln, sondern, wie Jesus, den anderen in den Blick nehmen und fragen: "Was willst Du, dass ich dir tue?" Vom anderen her denken und mich auf ihn und seine Bedürfnisse einstellen.

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