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Leben mit der eigenen Vergänglichkeit
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Leben mit der eigenen Vergänglichkeit

Marcus Vogler
Ein Beitrag von Marcus Vogler, Leitender katholischer Pfarrer der Pfarrei St. Bonifatius Amöneburger Land

Ein großkotziger Milliardär und ein bescheidener, menschenfreundlicher Mechaniker teilen sich ein einfach eingerichtetes Zimmer im Krankenhaus. Zwei Menschen, die sich im alltäglichen Leben nie begegnet wären. Die beiden Männer erfahren von den Ärzten, dass sie nicht mehr lange zu leben haben – höchstens ein Jahr. Durch ihr gemeinsames Schicksal beginnt eine unzertrennliche Freundschaft. Die beiden werden noch einmal richtig aktiv. Der Milliardär beginnt auf dem Krankenbett eine Liste mit den Dingen zu erstellen, die er in seinem Leben noch tun will, bevor er den Löffel abgibt: es entsteht die legendär gewordene „Löffelliste“. Die Idee dazu stammt aus der Zeit seines Philosophiestudiums, als er diese Aufgabe in einer Vorlesung als Übung aufgetragen bekam. Der einfache Mechaniker freundet sich mit der Löffelliste an. Er beginnt eigene Punkte auf die Liste zu schreiben und überzeugt seinen Freund davon, alle aufgeschriebenen Punkte vor ihrem bevorstehenden Tod in die Tat umzusetzen: Einmal mit einem Fallschirm abspringen. Einen Mustang fahren. Die Pyramiden und den Taj Mahal sehen. Auf Großwildjagd gehen. Etwas „Majestätisches“ erleben und den Mount Everest besteigen. Einem fremden Menschen etwas Gutes tun. So sehr lachen, bis man weint. Das schönste Mädchen der Welt küssen und so weiter. Gesagt, getan: Sie machen sich auf den Weg und erleben die abenteuerlichsten und lustigsten Sachen bis sich der Gesundheitszustand des bescheidenen Mechanikers verschlechtert und er letztlich in der Klinik versöhnt mit sich und seinem Leben stirbt. Auf dem Sterbebett muss sein Freund ihm versprechen, die noch ausstehenden Punkte alleine „abzuarbeiten“. Dies tut er auch, bis er einige Jahre später ebenfalls zufrieden und glücklich diese Erde verlässt. „Das Beste kommt Schluss“ - ein richtig gut gemachtes Schauspielerkino Marke Hollywood mit den unvergleichlichen Jack Nicholson und Morgan Freeman in den Hauptrollen. Ein ernstes Thema zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Film: der Tod, der unweigerlich auf die beiden Schwerkranken zukommt. Und trotzdem spüre ich als Zuschauer eine gewisse Leichtigkeit und Gelassenheit im Umgang mit den schwierigen Themen Sterben und Tod. Eine Gelassenheit, die mich fasziniert.
Vom Kinofilm zum echten Leben. Der Blick aus meinem Arbeitszimmer lässt mich erkennen: es ist Herbst. Ich finde diese Jahreszeit schön und schwierig zugleich. Schön ist: durch den Wald laufen, die tiefroten, orangenen und gelben Blätter an den Bäumen betrachten, und zuschauen wie sie sich in der Sonne räkeln. Das Rascheln des Laubes hören, eine Tasse Tee trinken und es sich gemütlich machen. Schwierig ist: Merken, dass die Tage kürzer werden, es morgens spät hell und abends früh dunkel wird. Bäume, die kahl werden. Nebel, der aufsteigt. Die Aussicht, dass das jetzt wochenlang so weitergeht. Natur, die abstirbt und an Leben und Schönheit verliert. Ganz schwierig ist: Erkennen, dass ich ein Teil der Natur bin. Wahrnehmen, dass auch ich vergänglich bin und irgendwann diese Erde verlassen muss. Das Schöne, das Schwierige und das ganz Schwierige – all das gehört für mich zum Herbst: die Freude an der wundersamen Veränderung der Natur mit ihrem herrlichen Farbenspiel und: die Erkenntnis, dass auch ich sterblich bin und damit vergänglich.  

Musik 1: J. S. Bach, Oboe Concertos in G minor BWV1056, Track 8, II. Largo, Dauer: 2´22

Das Thema der Vergänglichkeit begegnet mir in diesen Tagen im November nicht nur in der Natur. Auf den Friedhöfen herrscht zurzeit reger Betrieb. Menschen sind unterwegs mit Hacken, Schippen, Besen und Schubkarren. An vielen Stellen richten Angehörige die Gräber ihrer Lieben her für den bevorstehenden Winter. Mit der einbrechenden Dunkelheit taucht sich der Friedhof dann in ein Meer von Lichtern, die leise und still auf den Gräbern vor sich hin flackern. Sie leuchten für die, die den Weg durch den Tod schon gegangen sind. Für viele Menschen ein liebevolles Zeichen der Erinnerung oder ein Hoffnungszeichen für das Leben nach dem Tod. Hier auf dem Friedhof merke ich: irgendwann ist das auch mein Weg, den ich gehen werde. Meine Zeit hier auf der Erde ist begrenzt. Egal wie ich es drehe und wende: ich muss mich mit dieser bitteren Tatsache arrangieren und ich muss mit meiner eigenen Vergänglichkeit leben lernen.
Die Vorstellungen, die ich mir als Mensch vom Tod mache und von dem, was mich nach dem Tod erwartet, bestimmt meinen Umgang mit dem Tod. Die Vorstellungen machen mir entweder Angst oder sie schenken mir Vertrauen und Zuversicht. Sie machen es mir schwer, an den Tod zu denken, oder sie helfen mir, den Gedanken an meinen Tod in mein Leben hinein zu nehmen und gelassener und achtsam zu leben.
Doch es ist wichtig festzuhalten: Tod ist nicht gleich Tod. Der Tod eines alten Menschen am Ende eines erfüllten Lebens ist etwas anderes, als der Tod eines jungen Menschen, dessen Leben noch gar nicht recht begonnen hatte. Oder als der Tod einer noch jungen Mutter von zwei kleinen Kindern. Und der plötzliche Unfalltod ist kaum zu vergleichen mit dem lange erwarteten und manchmal ersehnten Tod nach jahrelangem, quälendem Leiden. Je nachdem wie der Tod eintritt, wird er von Menschen als Katastrophe erlebt, als Vernichtung der Person, als Zerstörung aller Beziehungen, als absurde Sinnlosigkeit. Der Tod kann aber auch als Freund erlebt werden, der von einem langen Leiden erlöst. Er kann zu der Haltung führen: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!“ oder zur Einsicht: Das Leben ist ein einmaliges Geschenk und jeder Augenblick ist kostbar.
Und wieder bin ich herausgefordert: Was mache ich mit der Erkenntnis, dass der Tod unweigerlich auch auf mich zukommt?
Ich könnte mich jetzt zuhause an meinen Schreibtisch setzen und mit meiner „Löffelliste“ beginnen, wie es die beiden Männer machen in dem  Film „Das Beste kommt zum Schluss“. Ich packe da alles drauf, was ich unbedingt noch erleben möchte und arbeite es möglichst schnell ab. Denn ich weiß ja nicht, wie viel Zeit mir hier noch bleibt. Doch bei diesem Gedanken umschleicht mich das Gefühl, dass das ziemlich schnell in Stress ausarten könnte und mich innerlich nicht zufrieden macht. Und ich spüre sehr deutlich: Das ist nicht mein Weg mit meiner Vergänglichkeit zu leben!

Musik 2: J. S. Bach, Oboe Concerto in G minor BWV1056, Track 9, III. Presto, Dauer: 3´26

Befrage ich die Bibel - dann erfahre ich nichts über den schwierigen Weg des Sterbens oder über eine exakte Definition des Todes. Mir begegnen jedoch eine Menge hoffnungsvoller Bilder, die etwas über das Ziel der Lebensreise erzählen. Es sind tröstliche Bilder, die Hoffnung machen. Ich möchte Ihnen heute Morgen drei biblische Bilder und Vorstellungen näher bringen, die mich persönlich ansprechen und mir hilfreich und tröstlich sind bei dem Gedanken an meinen eigenen Tod.
Im ersten Beispiel spricht Jesus in der Bibel von einer Wohnung. Er sagt im Johannesevangelium zu seinen Jüngern: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren! Glaubt an Gott und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe hin, um euch eine Wohnung zu bereiten? Und wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin (Joh 14,1-3).
Meine Wohnung – das ist mein geschützter Bereich, mein Rückzugsort, dort fühle ich mich wohl, geborgen und sicher. „My Home is my Castle“ – „Mein Haus ist meine Burg“ – sagt eine bekannte Redewendung. In meiner Wohnung kann ich mich ausruhen und Kräfte tanken. Dort lebe ich mit den mir liebsten Menschen zusammen und kann Freunde und andere Menschen als Gäste einladen. In meiner Wohnung kann ich offen und vertrauensvoll reden. Ich finde das ein wunderbares Bild: Ich sterbe irgendwann nicht in etwas Unbekanntes und Dunkles hinein, sondern in einen geschützten und bergenden Raum, in dem ich erwartet werde. Das Bild von der Wohnung, die Jesus für mich bereitet, schenkt mir Hoffnung: Wenn ich sterbe, dann kommt Jesus zu mir, um mich zu sich und in die Wohnung seines Vaters zu holen. Dann darf ich auf immer dort sein, wo Jesus ist und bei Gott und in Gott wohnen.
Ein zweites Bild: Ich werde vom Engel in Abrahams Schoß getragen. Der Verfasser des Lukasevangeliums verwendet in der Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus ein wunderschönes Bild für unser Sterben: Als Lazarus stirbt, tragen ihn die Engel in Abrahams Schoß (Luk 16,22). Auf mich übertragen bedeutet dies: Engel helfen auch mir irgendwann über die Schwelle des Todes und legen mich in Abrahams Schoß. Für die frommen Juden zurzeit Jesu war Abrahams Schoß ein Bild für den Ehrenplatz, den der Arme nun einnehmen darf beim ewigen Festmahl.
Dieses zweite Bild drückt für mich aus: Ich werde in meinem Sterben nicht allein sein. Engel sind da. Sie begleiten mich und bringen mich zu meinem Platz. Sie tragen mich über die dunkle Schwelle des Todes und übergeben mich in die geöffneten Arme Gottes. Hier darf ich für immer geborgen sein. Johann Sebastian Bach lässt seine Johannespassion mit diesem tröstlichen Bild im Schlusschoral ausklingen: „Ach Herr, lass dein‘ lieb‘ Engelein am letzten End‘ die Seele mein, in Abrahams Schoß tragen!“ Mir klingt dazu die schlichte und zu Herzen gehende Vertonung Bachs in den Ohren. Wunderbar ist dieses Gottvertrauen, das förmlich mit den Händen greifbar ist und dem Tod seine beängstigende Seite nimmt.

Musik 3: J. S. Bach, Johannes-Passion, Track 20, Chorale: Ach Herr lass dein lieb Engelein, Dauer: 2´47

Das letzte Bild ist vielleicht das Bekannteste: das Paradies. Eine weit verbreitete Vorstellung in vielen Religionen. Oft wird es umschrieben mit dem Bild eines wunderschönen Gartens, in dem Harmonie und Frieden herrschen, in dem Mensch und Gott Tür an Tür zusammen wohnen. Jesus verwendet das Wort Paradies selbst unmittelbar vor seinem Tod am Kreuz. Im Lukasevangelium steht: „Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnten ihn: Bist du denn nicht der Christus? Dann rette dich selbst und auch uns! Der andere aber wies ihn zurecht und sagt: Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Dann sagte er: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst! Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“. (Lk 23, 39-43).
Es ist eine hoffnungsvolle Szene, die Lukas erzählt. Selbst wenn ich am Ende meines Lebens glaube, ich hätte mein Leben verfehlt und an meiner Bestimmung vorbeigelebt, darf ich mich voller Vertrauen an Jesus wenden und sagen: Jesus, denk an mich! Und die Zusage Jesu: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!“ – sie gilt dann mir.
Diese tröstenden Bilder der Bibel vom Sterben und dem Leben nach dem Tod ermutigen mich: Hab keine Angst vor dem Tod! Lebe dein Leben gelassen! Aber sei dir bewusst, dass du sterben musst und dass deine Zeit hier auf Erden vergänglich ist! Nutze die Zeit. Gib deinen Tagen einen Sinn und so entsteht in deinem Leben etwas, das bleibt!
„Das Beste kommt zum Schluss!“ Aber nicht in dem Sinne des Hollywood-Klassikers. Ich muss mir nicht alles noch um jeden Preis ermöglichen, was ich hier auf Erden unbedingt erleben möchte, damit ich versöhnt sterben kann. „Das Beste kommt zum Schluss“ bedeutet für mich: Es gibt einen Gott, der mich erwartet. Es gibt einen Gott, der bereits in diesem Leben mit mir unterwegs ist und mein Leben zu einem „Happy End“ führt. Diese Hoffnung lässt mich gelassen leben. Diese christliche Gelassenheit wünsche ich auch Ihnen.

Musik 4: Fauré Duruflé, Choir of King´s, Duruflé: Requiem Op. 9, In Paradisum, Dauer: 2´55

Musikauswahl: Regionalkantor Thomas Pieper, Kassel

 

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