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Geh deinen Weg getrost und ohne Angst

Geh deinen Weg getrost und ohne Angst

Dr. Ulf Häbel
Ein Beitrag von Dr. Ulf Häbel, Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen

Unser jüngstes Enkelkind ist gerade ein Jahr alt geworden und heißt Lea. Sie läuft seit einem Monat. Das heißt: Wenn sie bei uns, ihren Großeltern ist, müssen wir alles in Reichweite wegräumen – Vasen und Geschirr, die Schlüssel an der Kommode und den Kassettenrekorder. Sie räumt eben alles ab, was sie erreichen kann. Spielerisch und zupackend entdeckt sie die Welt. Wie schön zu sehen, wie ein Kind im wahrsten Sinn des Wortes die Welt be-greift.

Am meisten fasziniert mich, wie sich ein Mensch in einen Jahr entwickelt – vom hilflosen Rumliegen zum aufrechten Gang. Ein paar Tage nach der Geburt haben wir unsere Tochter besucht und das Kind „besichtigt“. Da hat es in einem Säuglingsbettchen geschlafen, die Arme und Beine an den Körper gezogen, unselbstständig, hilflos lag es da. Menschen sind nun einmal Frühgeburten, Nesthocker, sagen die Biologen. Am Anfang brauchen sie ständige Pflege, Wärme und Zuwendung.

Jetzt läuft sie schon rum, reißt alles runter, was sie erreichen kann, geht überall hin, wo es etwas zu entdecken gibt. In einem Jahr vom hilflosen Rumliegen zum aufrechten Gang. Diesen Begriff vom aufrechten Gang haben Dichter und Philosophen oft benutzt, um uns Menschen im Gegenüber zu Tieren zu beschreiben. Der Mensch, der aufrecht geht, kann seinen Blick zum Himmel erheben. Er sieht die Weite des Horizonts und nicht nur die Erde – so wie ein Wurm, der auf ihr kriecht. Der aufrechte Gang ist ein Symbol für menschliche Freiheit und Sinnsuche im Leben.

Der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer hat vor vierzig Jahren ein Buch geschrieben: „Krummes Holz – aufrechter Gang. Zur Frage nach dem Sinn des Lebens.“ Der Mensch ein „krummes Holz“. Diesen Ausdruck hat Gollwitzer vom bekannten deutschen Philosophen Immanuel Kant. Der lehrte vor zweihundertfünfzig Jahren in Königsberg. In diesem Bild vom krummen Holz hat Kant den Menschen als ein bedrücktes Wesen, eine gebeugte Kreatur, die viel Lasten zu tragen hat beschrieben. Wörtlich sagt er: „Aus so krummem Holz, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts gerades gezimmert werden.“ So Immanuel Kant.

Und doch gibt es den aufrechten Gang. Für Gollwitzer in seinem Buch heißt das: Der Mensch steht auf und erblickt den Himmel. Wir sind nicht nur auf die Erden fixiert. Wir sehen den Horizont, erkennen die Weite, die Freiheit und die Chancen für ein sinnerfülltes Leben. Wenn ich unser Enkelkind sehe, das sich in nur einem Jahr vom wurmähnlichen Rumliegen im Babybett zum aufrechten Gang entwickelt hat, ist das für mich wie ein kleines Wunder; es hat etwas mit Auferstehung zu tun. Ein Mensch steht auf, sieht und begreift die Welt, in der er für eine gewisse Zeit lebt und Sinn finden wird.

In dem Bild vom aufrechten Gang klingt noch etwas, was unser Enkelkind auf seinem Weg brauchen wird: Standhaftigkeit. Es gibt Situationen, in denen man nicht so schnell nachgeben darf, nicht klein beigeben oder zu schnell einknicken. Manchmal muss man zu sich selber stehen auch wenn das schwer fällt, aufrecht gehen auch wenn man bedrängt wird. Zu einem sinnerfüllten Leben gehören auch Selbstvertrauen und Standhaftigkeit.

Diesen Wunsch auch für unser Enkelkind finde ich in einem Satz der Bibel, eine Verheißung von Gott: Siehe ich habe dir geboten, dass du getrost und fröhlich deine Wege gehst. Sei unverzagt und ohne Angst; denn ich bin bei dir.

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