Erinnern an Zeiten des Glücks
Ich sitze einer älteren Dame gegenüber. Wir nippen am Tee. Schöne dünnwandige Tassen. Vorsichtig stelle ich sie hin. Ich schaue mein Gegenüber an: Adrett. Frische Dauerwelle. Sie trägt eine Kette und Ohrringe. Es ist ihr Geburtstag. Noch sind wir alleine. Gedeckt ist, aber die Gäste werden später eintrudeln.
Die Überraschungs-Kette
Hübsche Kette, sage ich. Sie erzählt. Es ist ein gutes Thema. Ihr verstorbener Mann hat sie ihr geschenkt. Es war auf Mallorca. Da waren sie oft. Und dann eines Abends hat er ihr die Kette umgehängt. Er hatte sie alleine gekauft. Als Überraschung. Sonst konnte er nicht mal Socken alleine aussuchen. Die Kette war perfekt. Die richtige Länge. Ihre Lieblingsfarbe. Überreicht bei Sonnenuntergang am Meer.
Erinnerungen an Zeiten des Glücks
Sie erzählt lauter schöne kleine Einzelheiten. Auch die Ohrringe sind aus Mallorca. Die haben sie dann gemeinsam ausgesucht. An besonderen Tagen trägt sie die. Als Erinnerung an Zeiten des Glücks. Als Erinnerung an einen Ort ihres Glücks. Für sie eben Mallorca. Während sie redet, strahlt sie richtig und redet sich richtig in Schwung. Ich trinke den schönen Tee und begleite sie und ihren Mann in Gedanken auf Mallorca. Es tut ihr gut, dass in ihren Gedanken der Duft vom Meer, die Geräusche des Südens und die Empfindungen von damals wieder lebendig werden.
Ich spüre die Geborgenheit in ihrem Herzen, wie die schöne Erinnerung die Enge des Alltags, ihre Einsamkeit aufbricht. Es tut ihr gut zu erzählen und dass da einer ist, der gerne zuhört. Ich muss nicht mal „hm“ sagen. Manchmal nicke ich.
Spuren Gottes
Es ist eine innere Reise zu Zeiten des Glücks. Gut, so ins Innere zu reisen. Später kann ich im Gespräch diese Zeiten „Spuren Gottes“ nennen. Sie nickt begeistert. „Ja, es war ein Stück vom Himmel auf der Erde!“ Noch einen Tee?
