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Das Tor des Freundes
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Das Tor des Freundes

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
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Das Jaffa-Tor in der Jerusalemer Stadtmauer schaut in Richtung Westen, nach dem heutigen Tel Aviv. Auf Arabisch heißt das Tor Bab el-Khalil, „das Tor des Freundes“. Vor 20 Jahren bin ich im Advent jeden Tag durch dieses Tor zur Arbeit gegangen, und sein Name erinnert mich an einen Menschen, den ich seitdem als einen Freund in meiner Erinnerung behalten möchte. Ich habe damals als Hilfskraft in der Pflege in einem Krankenhaus für unheilbare und sterbende Kranke mitgearbeitet, im Sankt Josephs-Hospital. In diesem Hospital gibt es arabische und israelische Patienten, jüdische, christliche und muslimische, aber auch ganz unreligiöse Kranke. Auch in der Pflege und als Ärztinnen und Ärzte arbeiten Menschen aus den verfeindeten Teilen des Landes zusammen. Viele der Kranken waren Jüdinnen und Juden: zum Beispiel eine Frau, deren Eltern im Konzentrationslager ermordet worden waren, oder ein Mann, der als jüdischer Kantor mit seiner Familie aus dem Irak nach Israel gekommen war.

Die deutsche Sprache weckte viele schreckliche Erinnerungen  

Eines Tages kam ein schon sehr schwacher jüdischer Patient, von dem ich wusste, dass er aus Frankfurt nach Israel gekommen war. Er sprach nur noch wenig, und mit den meisten nur ein paar Brocken Englisch. Ich hörte aber, dass er auch deutsch sprechen kann. Als ich ihm das erste Mal begegnet bin, stellte ich mich vor und sagte auf deutsch, dass ich aus Frankfurt komme. Und sofort merkte ich, dass seine Gesichtszüge herunterfielen. Erst danach hörte ich von seinem Schicksal: Er war als gebildeter Frankfurter Jude aus dem Nazi-Deutschland nach Israel geflohen. In Israel hatte er dann eine Fahrschule aufgemacht und damit seinen Unterhalt gefristet. Als er merkte, dass ich aus Frankfurt komme, und ich auf deutsch mit ihm sprach, kamen wohl viele schreckliche Erinnerungen aus der Nazi-Zeit wieder in ihm hoch. So erkäre ich mir seine Reaktion. In den Tagen danach sprach er nur noch das Allernötigste auf englisch mit mir.

Etwas hatte sich in ihm geöffnet

Ich habe ihm einfach morgens das Frühstück gebracht. Nach einigen Wochen dann, als ich ihm den dampfenden Kaffee und die warmen Brötchen hingestellt hatte, hat er mich angeschaut, ein wenig gelächelt, und dann auf deutsch gesagt: „Und jetzt noch die Frankfurter Zeitung.“ So hieß früher die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die FAZ.

Irgend etwas hatte sich in ihm geöffnet, und dafür bin ich ihm bis heute dankbar, auch wenn ich nichts weiter von ihm gehört habe, und er inzwischen sicher lange gestorben ist.

Manchmal öffnen sich im Leben Tore, die Menschen zu Freunden machen

Mit dem arabischen Namen des Jerusalemer Tores Bab el-Khalil „Tor des Freundes“ ist eigentlich Abraham gemeint, den die Bibel „einen Freund Gottes“ nennt. Ich verbinde mit dem Namen bis heute meine Erinnerung an meinen Freund: Manchmal öffnen sich im Leben Tore, die Menschen zu Freunden machen, und die Freundschaften, die dann entstehen, sind für mich ein echtes Gottesgeschenk.

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