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Wertvolles Laub
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Wertvolles Laub

Dr. Paul Lang
Ein Beitrag von Dr. Paul Lang, Diakon und Lehrer für Latein, Musik und Religion in Amöneburg
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Vor wenigen Wochen: Einer der letzten sonnigen Novembertage. In der Karlsaue in Kassel gehe ich spazieren. Dabei fällt mir ein zwei- oder vielleicht dreijähriger Junge auf. Er ist mit seinem Vater zu Fuß unterwegs. Zwischen seinen Handflächen trägt der kleine Pimpf ein paar außerordentlich große Laubblätter. Wie einen wertvollen Schatz hält er sie behutsam und doch sicher vor sich. Sein Gesicht sagt: „Sind sie nicht schön, meine Blätter?!“ Wie stolz er auf sie ist!
Während ich weitergehe, bleibt mir dieses Bild vor Augen. „Was sind das eigentlich für Blätter, von welchem Baum?“ frage ich mich. Ich kann es nicht sicher sagen. Vor allem groß, rot und gelb gefärbt. Herbstlaub eben, Ahorn vielleicht. Warum der Kleine genau diese Blätter ausgewählt hat? Wegen der Farben? Ihrer Größe? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß: Für ihn sind sie etwas ganz Besonderes. Das ist nicht zu übersehen. Wertvoll eben.
Ich denke an die Unmengen Laub, die ich in meinem Garten im Herbst schon zusammengerecht habe und die noch auf mich warten. Wertvoll – Laub? „Was macht eine Sache wertvoll?“, frage ich mich nach der Begegnung mit dem Jungen im Park. Er bestimmt das selbst. Und ich? Bestimme ich das nicht auch selbst?
Ich denke an das zerfledderte Märchenbuch in meinem Bücherregal: Meine Großmutter hat daraus vorgelesen. Es hat den Bombenkrieg überstanden, allerdings mit deutlichen Blessuren. Etliche Seiten und der Einband fehlen, es ist von Stockflecken entstellt. Trotzdem: Für mich ist es wertvoll, wertvoller als irgendein Neudruck auf noch so hochwertigem Papier. Mein achtsamer Blick und mein behutsamer Umgang mit diesem Buch machen jedem deutlich: Das ist für mich ein besonderes Buch.
Von Kindern kann man diesen wertschätzenden Umgang lernen. Dafür kann sich Saint-Exuperys kleiner Prinz begeistern. Während er einen vorbeidonnernden Schnellzug beobachtet, ist er in Gedanken bei allen Kindern, die in diesem Zug unterwegs sind.
Er sinniert: Die Erwachsenen eilen von A nach B und zurück, scheinbar ziellos. Anders die Kinder: „Sie haben es gut“, stellt er fest. „Sie wissen, wohin sie wollen. Sie wenden ihre Zeit an eine Puppe aus Stoff-Fetzen, und die Puppe wird ihnen sehr wertvoll…“
Wer diktiert mir als Erwachsenem, wieviel Wert ich welcher Sache, welchem Ereignis, welcher Begegnung beimesse? Ich habe es nicht weniger in der Hand als ein Dreijähriger im Park mit einem Packen Laub.
Der achtsame Blick auf die Welt. Die Wahrnehmung des Schönen. Die Wertschätzung dessen, was mich umgibt. Das hat mir der Dreijährige ins Gedächtnis zurückgerufen. Mit dieser Haltung in einen neuen Tag zu gehen, lohnt. Da bin ich sicher. Ich habe es in der Hand, wertzuschätzen und mich an Schönem zu freuen. Ein neuer Tag. Heute. „Danke, guter Gott, dafür. Er ist etwas Besonderes. Du schenkst ihn mir."

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