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Wartezeiten sind geschenkte Zeiten
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Wartezeiten sind geschenkte Zeiten

Pia Arnold-Rammé
Ein Beitrag von Pia Arnold-Rammé, Katholische Pastoralreferentin, Referentin für Sozialpastoral, Frankfurt
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Ich sitze in der U-Bahn und wegen einer „signalbedingten Verzögerung“ stehen wir gefühlt stundenlang an der Haltestelle. Oder ich sitze beim Arzt und trotz Termin dauert es fast zwei Stunden, bis ich endlich dran bin. Wir fahren mit dem Auto in den Urlaub und stehen schon kurz hinter Frankfurt in einem Mega-Stau. Nichts geht mehr!

In diesen Situationen muss ich immer an Astrid Lindgrens Buch „Die Kinder von Bullerbü“ denken. Da sagt Lasse am Weihnachtsabend sinngemäß: „Diese Stunden des unnützen und langen Wartens sind es, die den Menschen graue Haare bescheren.“ Ja genau das ist es, was auch mir graue Haare beschert: dieses unnütze und stundenlange Warten in allen möglichen Situationen. Ich finde, es ist eine Verschwendung von Lebenszeit. Als mir diese Einstellung einmal auffiel, habe ich beschlossen: So geht es nicht, da muss sich was ändern. Ändern kann ich nichts an signalbedingten Verzögerungen, Wartezeiten beim Arzt oder Staus auf deutschen Autobahnen. Aber meine Einstellung dazu kann ich verändern. Deshalb habe ich beschlossen, diese Zeiten als mir geschenkte Meditationszeit zu verstehen: Mein Alltag ist oft hektisch, zum Nachdenken bleibt wenig Zeit, auch zum Abschalten und Nichtstun. Nun versuche ich, diese Wartezeiten als Auszeiten zu begreifen: Ich schließe die Augen, versuche ruhig und tief zu atmen und erst mal loszulassen von meiner Ungeduld. Und dann überlege ich mir, über welche Frage, welches Thema, welchen Menschen ich einmal in aller Ruhe nachdenken könnte, zum Beispiel: In welcher Situation habe ich mich zuletzt so richtig wohl gefühlt, was an dieser Situation war so besonders und wie könnte ich vielleicht Ähnliches wieder praktizieren? Oder ich denke über einen Menschen nach, mit dem ich gerade im Streit bin. Ich versuche, seine Position, sein Denken und Fühlen besser zu verstehen.

Und auf einmal fährt die Bahn weiter, plötzlich werde ich aufgerufen beim Arzt, plötzlich löst der Stau sich auf und ich bin ganz überrascht, wie schnell das ging. Ich werde quasi mitten aus meinen Gedanken gerissen. Alles hat genauso lange gedauert wie sonst. Aber gefühlt ging die Zeit wie im Flug vorbei. Das gelingt natürlich nicht immer. Aber wenn es gelingt, bin ich richtig froh und glücklich über diese geschenkten Zeiten in meinem Alltag.

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