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Wahrgenommen werden
Jackie Ramirez/Pixabay

Wahrgenommen werden

Christoph Wildfang
Ein Beitrag von Christoph Wildfang, Evangelischer Pfarrer, Arnoldshain
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Nach dem Religionsunterricht in der Grundschule warte ich draußen auf einen Kollegen, der mich mit seinem Auto mitnimmt.

Sita aus der Dritten kommt vorbei. Schaut mich an. „Wie alt sind Sie eigentlich?“ „Schätz mal,“ sag ich und deute auf meine grauweißen Haare. So taufrisch bin ich nicht mehr. Sie schaut an mir rauf und runter. „80!“ sagt sie. Ich lächele. Knapp daneben. Um 20 Jahre verschätzt. Aber warst ja nahe dran. Wir beide müssen lachen.

Gemeinsam lachen verbindet

Weil sie auch warten muss, zeigt sie mir, was sie heute in der Schule gemalt hat. Ich betrachte eines ihrer Bilder sorgsam und ausführlich. Sie fragt mich: „Wissen Sie eigentlich, was ich da gemalt habe?“  Auf den ersten Blick: ein ziemliches Gekritzel. Ich möchte Sita nicht verletzen. Ich sage: „Auf jeden Fall ist es schön bunt,“  und frage mich: Ist es ein Regenbogen? Menschen auf einem Weg? Autos? Sie sagt: „Rat mal,“ Und ich rate: „Ein Gute-Laune-Bild vielleicht?“ – Aber sie meint: „Sie haben keine Ahnung, das sind doch Mama, Papa und ich im Urlaub am Meer!“  Wir lachen gemeinsam.

Unser Lachen verbindet. Ich kann über mein falsch geschätztes Alter lachen. Für ein Mädchen aus der Dritten bin ich steinalt. Und für mich Erwachsenen ist ihr Bild ziemlich schräg.

Liebevoll wahrgenommen werden, tut gut

Mir tut’s gut, liebevoll wahrgenommen zu werden. Mir tut das Lächeln gut. Nichts muss doch haarscharf ausgedeutet werden. Ich brauche nicht mit der Schülerin diskutieren. Über das Alter von Menschen. Oder wie man „richtig“ malt. Warum sollte ich das tun? Ihre Welt ist ihre Welt und meine dem  Alter entsprechend eine andere.

Wenn wir uns mit einem Lächeln wahrnehmen, mit freundlichen offenen Augen: Das tut gut. Gerade wenn wir verschieden sind: Einen anderen Menschen ohne Vorbehalte liebevoll annehmen. Ich muss nicht alles verstehen. Das tut gut. Mir und Sita auch.

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