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Machtworte
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Machtworte

Dr. Ursula Schoen
Ein Beitrag von Dr. Ursula Schoen, Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt
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Der Turmbau zu Babel ist die Geschichte eines antiken Großprojekts. Sie steht gleich am Anfang der Bibel und spielt in grauer Vorzeit. Damals, so die Bibel, sprachen die Menschen alle die gleiche Sprache. Ein paar Leute haben eine Idee: Kommt, wir bauen einen Turm. Und zwar einen gigantischen Turm - ein Turm bis zum Himmel!

Der Turmbau zu Babel - ein riesen Projekt

Ein Riesen-Projekt – sozusagen Berliner Flughafen und Stuttgart 21 hoch drei! Das soll für Berühmtheit sorgen. Das Großprojekt verbindet – ein Team entsteht. Lebensenergien werden wach und Kräfte werden frei. Stein auf Stein wächst da der Turm! Die unterschiedlichen Talente wirken zusammen. Begeisterung – Rausch!

Gott spricht ein Machtwort

Und dann die Katastrophe – Gott selbst macht diesem Bauprojekt ein Ende, steht in der Bibel. Er spricht ein Machtwort. Gott verwirrt die bis dahin einheitliche Sprache der Menschen. Der eine versteht nicht mehr, was die andere sagt. Eine zerrissene Truppe – Verwirrung und Sprachlosigkeit. Die Leute zerstreuen sich in alle Winde. Zurück bleibt eine Bauruine. Gott als der große Spielverderber! Gott, der nicht gönnen kann oder nicht will, dass Menschen sich in ein großartiges Projekt werfen?

Ein Großprojekt, das alle Energien verschlingt

Gottes Machtwort kommt aber eigentlich genau zur richtigen Zeit. Denn das Großprojekt war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Es hat alle Energien verschlungen für ein Ziel, das unerreichbar ist. Ein Turm bis zum Himmel ist nicht möglich. Es war eine Befreiung von einem unsinnigen Vorhaben, als Gott eingriff und sagte: Ihr hört jetzt sofort mit diesem dämlichen Turmbau auf! Hart. Ernüchternd. Aber befreiend.

Es fällt schwer, ein Projekt, das nichts bringt, aufzugeben

Ich kenne das, wenn ich viel zu lange an einem Lieblingsgedanken festhalte. Ich stecke alle, meine Kräfte in etwas, das mir nicht guttut oder sich über kurz oder lang nicht lohnt. Das kann eine Beziehung sein, berufliche Pläne oder andere Lebensprojekte, unbedingt einen Partner für sich zu gewinnen, eine Leitungsposition zu erlangen oder eine sportliche Höchstleistung zu erbringen. Oft ziehe ich auch andere da mithinein. Kann sein, dass solche Projekte erstmal Spaß machen und Lebensenergie wecken. Umso schwerer fällt es mir zu erkennen: Das bringt nichts. Du rackerst dich ab für einen Turmbau zu Babel.

Manchmal ist es gut, wenn jemand ein Machtwort spricht

Insgeheim bin ich dann froh, wenn jemand anderes sich traut und ein Machtwort spricht: Stopp! Du, das klappt einfach nicht. Komm mal wieder auf dem Boden der Tatsachen an! Klar, dann schlucke ich erst einmal kräftig und kämpfe mit meiner Enttäuschung. Aber im Grunde bin ich erleichtert.

Realismus tut gut. Darum spreche ich inzwischen sogar gerne ein Machtwort, wenn’s nötig ist – zu mir selbst und zu anderen. Das befreit.

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